Inhalt der Printausgabe

September 2002


Humorkritik
(Seite 3 von 7)

Komische Mixmusik

"Does humour belong in music?" frug 1986 Frank Zappa, und die Antwort war mir herzlich egal, jedenfalls soweit sie von F. Zappa kam. Einerseits, weil ich Zappas Aufnahmen meist quälend, aber kaum komisch fand, andererseits, weil die Antwort ("ja") längst gegeben war: Seit dem späten Mittelalter existieren Parodien auf erhabene Formen, die z.B. mit Hundegebell komische Effekte erzielten; als komisch gelten lassen kann man auch die Soundtracks der amerikanischen Zeichentrickfilme seit den vierziger Jahren, etwa die von Scott Bradley, der mit Tex Avery zusammenarbeitete und unter anderem "Tom und Jerry" vertonte. Hier wie da wurden Stilmittel angewandt, die immer wieder für Komik sorgen: die Collage das Verschmelzen von Musik mit Geräuschen, und die Montage von Musikstücken, die partout nichts gemein haben.
Wie komisch auch totgespielte Hits sein können, wenn man sie in überraschende Zusammenhänge stellt, belegt ein Phänomen, auf das ich erst kürzlich von jüngeren Kollegen aufmerksam gemacht worden bin: das sog. Bootlegging, auch Bastard Pop oder Mash Up Pop genannt. Sehr komisch ist das, wenn da der Gesangspart von Whitney Houstons "I Wanna Dance with Somebody" über Kraftwerks "Nummern" gelegt wird, George Michael mit den Crossover-Rockern Limp Bizkit gekreuzt oder ein Titel namens "Smells Like Missy Elliot" aus Nirvana und "Get Ur Freak On" von eben Missy Elliot geboren wird. Ein Spaß, der extrem variabel ist, gibt es doch mindestens unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten.
Dementsprechend virulent sind auch im Internet mp3-Dateien mit verschiedensten Mixen, die zudem beinahe ohne technisches Wissen am PC herzustellen sind. Tendenzen sind dabei durchaus erkennbar: Gerne werden die Acapellas von Mädchen-Soul- und HipHop-Bands der letzten Jahre verwendet, die, über Pophits gelegt, oft schon zu gut funktionieren; äußerst beliebt und daher schon wieder beliebig ist der Einsatz von Vocals der bereits erwähnten Missy Elliot, der Beastie Boys oder Eminem. Sehr viel komischer aber sind Bastarde, die etwas komplizierter sind (etwa David Bowies "Let's Dance" vs. Pinks "Get the Party Started" oder Madonnas "Music" vs. "Tainted Love" von Soft Cell) oder gleich zwei weit auseinander liegende Ohrwürmer der achtziger Jahre gegeneinander antreten lassen ("The Robots in the Kraftwerk Tonight" etwa, ein Mix aus "Die Roboter" von Kraftwerk und "Tonight Tonight Tonight" von Genesis, oder das sensationelle "The Baddest One I Know", eine Mischung aus dem einzigen Hit der frühen Rave-Band The Charlatans "The Only One I Know" und Michael Jacksons "Bad").
Mein Favorit in dieser Kategorie: Osymysos "Intro Inspection" in der zwölfminütigen extended version, in der 101 Intros aus der Geschichte der Popmusik zu einem Stück zusammengemixt werden. Sehr komisch, wie die firmsten Musikexperten bei dem Versuch ins Schwitzen kommen, beim Anhören alle Musikschnitzelchen aufzuzählen, die ihnen um die Ohren gesampelt werden: Ah, "Vienna" von Ultravox, und zwar über den ersten Takten "I Get Around" von den Beach Boys und "Bohemian Rhapsody"! Und kaum hat man "Anarchy in the UK" erkannt und will "I am the" mit "Antichrist" ergänzen, quiekt stattdessen aber auch schon Aqua "Barbie Girl"… Musikalische Zitationsscherze also mit den damit einhergehenden Nachteilen: Beim ersten Mal lacht man noch, dann nutzen sie sich schnell ab, und gut weitererzählen lassen sie sich auch nicht. Vielleicht ist der Trend, der, wie so viele vor ihm, nach langem Schattendasein in Großbritannien pünktlich zur Popkomm in Deutschland angekommen ist, auch deshalb schon fast wieder vorbei.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt