Inhalt der Printausgabe
September 2002
Der große Chaostage-Schwindel (Seite 5 von 14) |
All dies wurde zwar auf realen Flugblättern angedroht, doch diese hatten eine Auflage von nur wenigen Exemplaren und wurden gezielt Meinungsmachern und Agenturen zugespielt. Sogar Parolen, die ausdrücklich als Fake gekennzeichnet waren, wurden ernst genommen und verwandelten sich so via Zeitungs- oder TV-Bericht zu echten Drohungen. Und dann kam das Internet ins Spiel: In verschiedenen Nachrichtengruppen des weltweiten Computernetzes verbreitete im Sommer 1995 eine so genannte "Lagergang" regelmäßig Informationen zu den für August erneut angedrohten Chaostagen. Ein Interview mit einem Mitglied der Lagergang, also mit Karl Nagel, in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung hatte Folgen - auch für den Interviewer.
Der Stern wollte unbedingt mit Nagel sprechen, gegen ein Info-Honorar natürlich, das Pro7-Politmagazin "Die Reporter" erschien mit einem dreiköpfigen TV-Team, um die Internetseiten der Lagergang vom Monitor abzufilmen, und schließlich wollte Focus wissen, wer die Rädelsführer der Chaostage seien, und natürlich den Chef der "Internet-Punks" interviewen.
Das lehnte Nagel allerdings ab, weil er mit Focus nichts zu tun haben wollte, dafür erhielt das Magazin die von ihm zusammengestellte Flugblattdokumentation "Die Chaostag-Papiere: Dokumente des Grauens - Die geheimen und kriminellen Pläne der Punker aufgedeckt" und druckte sie in Auszügen als echte Dokumente des Schreckens ab.
Schließlich rauschte der Blätterwald so heftig und berichteten die TV-Sender so häufig über das zu erwartende Chaos, daß tatsächlich Hunderte davon Motivierte nach Hannover reisten und sich auf den Chaostagen etwa 3000 Punks, Hooligans, türkische Jugendliche und Autonome mit der Polizei blutige Straßenschlachten lieferten. Das Chaos, das ein Jahr zuvor von den Medien sensationslüstern angekündigt worden war, war also nun dank der tatkräftigen Mithilfe der gleichen Medien Wirklichkeit geworden.
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