Inhalt der Printausgabe

Mai 2002


Briefe an die Leser
(Seite 3 von 10)

Doris Grünbein Aber ach, Durs Grünbein!
Sie haben's doch nun geschafft: Büchnerpreis, Milliardenauflage, "Götterliebling" (G. Seibt) und neuerdings sogar Autor unseres "Politischen Gedichts" (s.o.); und wann und wo immer eine Stirnfaltendebatte, und sei sie noch so poesiefern, zu unseretwegen Genom, Steuerwahn, Kosovo oder Bioethik losgetreten wird, dürfen Sie Ihr immermüdes Dichterantlitz ebenfalls aus dem Föhlitong strecken; und brauchten sich also nirgends mehr andienen. Eigentlich. Und trotzdem, diesmal aus Anlaß von "Felix Hartlaubs Kriegsaufzeichnungen als Vorabdruck in der F.A.Z" (FAZ): "Woher kommt, über die Zeiten hinweg, die Verwandtschaft zwischen den Dienern des Worts? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß wenigstens mir, dem von einer späteren Diktatur Geprägten, Hartlaubs verbale Kamerafahrten durch die Landschaften des Dritten Reichs sofort vertraut waren. … Fünfzig Jahre nach ihm war ich selber Student in Berlin. In seiner scharfsichtigen Zusammenschau aller habituellen Erscheinungen erkannte ich wieder, was mir selbst über den Weg gelaufen war dort. Damals die Pelzstola der russischen Tochter aus höherem Haus neben dem Braunhemd des deutschen Studentenbund-Mitglieds, zu meiner Zeit Jeans und Parka neben der FDJ-Uniform."
Es ist schon so eine Sache mit der Verwandtschaft der Diener des Worts, über die Zeiten hinweg: Wo sich ein Erich Mühsam von den Nazis zu Tode prügeln ließ, mußten Sie bei der FDJ doofe Lieder singen, obwohl Sie gar nicht wollten; Carl von Ossietzky sitzt vier Jahre im KZ und verreckt daran, Sie sitzen in Staatsbürgerkunde oder ML und werden praktisch zu Tode indoktriniert; Walter Benjamin nimmt sich auf der Flucht vor der Gestapo das Leben, Ihnen hätte die Vopo einmal fast den Mopedführerschein weggenommen. Kann es da, bei aller offenbaren Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, sein, daß Sie, Grünbein, vielleicht doch eher mit habituellen Erscheinungen wie dem späten Wolf Biermann, M. Walser oder auch Mohrs Reinhard verwandt sind, den Dienern des Machtworts und schafsichtigen Arschkriechern? Wie? Sie haben grad' nicht zugehört?
Ihr Glück. Titanic


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt