Inhalt der Printausgabe

Januar 2002


Humorkritik
(Seite 6 von 6)

Dummbilanz 2001

"Fischer ist der beste Außenminister, den wir je hatten", weiß Uli Hoeneß schon am 27.01.01 im Großgespräch ausgerechnet mit der Frankfurter Rundschau; und genau deshalb rattert wiederum Frank Schirrmacher für die FAZ (17.2.) um die halbe Welt, um mit Jockel ein 11/2 Seiten langes Interview über "das biologische Zeitalter" und "die Entschlüsselung des Genoms" zu bestreiten; auch wenn der Außenminister davon noch weniger versteht als Hoeneß und Beckenbauer zusammen: "Bei der Gentechnologie hat man es mit Boutiquen-Technologien zu tun. Der meiste Know-How-Transfer findet im Kopf statt. Es ist eine ganzheitliche Herausforderung." Genau, und deshalb fordert Kanzler Schröder am 13.3. Wolfgang Thierse heraus, der schon am 15.1. für sein Gerede von der "Entfeindungskultur" den neuen Ignatz-Bubis-Preis abgegriffen hat; kriegt jedoch für seinen "neuen Umgang mit Menschen, Medien und Macht" bloß den neuen deutschen bzw. Baden-Badener "Medienpreis"; die Pestrede aber hält auf ca. Wigald Boning-Niveau Schirri Schirrmacher, der seinerseits im Juli von der Zeit, wenn auch etwas spöttisch, für seine Umstrukturierung des FAZ-Feuilletons in ein Klon-Farm-Forum gelobt wird. Indessen der Spiegel den die FAZ herausgebenden Jungdurchgedrehten, der auch auf die Spitznamen "Nero", "Caligula" und "Hitler" hört, für seine unnachgiebige Erfindung der "Dritten Kultur" feiert. Auch wenn nicht mal Schirrmacher weiß, was das eigentlich ist. "Irgend so was halt" (Spiegel).
Dem Nachrichtenmagazin der Ära Aust wiederum fällt am 9.7. zu Hannelore Kohls Freitod die lichtjahrmäßig törichteste Begründung ein: Es habe die Kanzlersgattin eben allzeit fatal "im Schatten gestanden"; obschon sie doch, Kohls 4-Zentner-Schattenwucht beiseite, immer mehr im Licht stand als 99,94 Prozent der Restfrauen; übertroffen eigentlich nur von Verona, Heidi Klum und Thierse, der im Februar deshalb auch noch den "angesehenen" (Hamm-Brücher) Th. Heuss-Preis einstreicht.
Der Tod ereilte zum Jahresende hin dann aber doch auch noch Regine Hildebrandt; die dafür am immerhin anderen Tag ein letztes Mal in 3072 Nachrufen den doppelt saudummen Titel "Mutter Courage" einfuhr (doppelt, weil nämlich Brechts Bühnenfigur keineswegs eine Couragierte noch sonstwie Gute ist). Todesmäßig unverhoffter schon lagen die Dinge nach dem 11.9., als man seitens der Theoretiker von Al Qaeda und des Attentäters Atta erfuhr, daß im islamischen Einzugsbereich "tausende Jugendliche erpicht darauf sind zu sterben, genau wie die Amerikaner erpicht darauf sind zu leben" (FR) - tot sitzt nämlich der islamische Terrorist besonders "nah bei Allah" (Atta).
Na gut, wahrscheinlich deshalb hat man nach den aufrüttelnden Worten des Friedenspreisbuchhandelsträgers Habermas seit Anfang Oktober mit einer "postsäkularen Gesellschaft" zu rechnen, vielleicht auch bloß deshalb, weil das frühere Säkulum jetzt schon wieder zwei Jahre tot ist. Vielleicht meint der heute schätzungsweise 101jährige Professor ja auch vielmehr "postsakral" oder auch "postsäkularisiert", werweiß verwechseln wir hier ihn auch schon mit dem Professor Gadamer, der im ruhigen Burgschatten Heidelbergs seinem Lebensziel immer näher rückt, mit derzeit 102 Lenzen Ernst Jüngers scheint's ewigen Rekord von 102,5 zu brechen - Walser jedenfalls, ha, Martin Walser wurde einerseits am 14.9. bei einer Lesung in der Erfurter Michaeliskirche mit dem Vorwurf des "Antisemitismus" belastet und geriet in ein "Gerangel" (FAZ), wehrte sich aber andererseits zäh: "Die Leute werden immer dümmer", rief er aus dem Gerangel heraus und kriegte dafür von der Kulturvertreterin der Bild-Zeitung Dana Horáková (von Schirrmacher abgesehen) dickes Lob ab: In seinem neuen Roman "Der Lebenslauf der Liebe" (49.80 DM) "schildert Walser Susis Aufstieg und Fall, den Zustand ihrer Seele und ihres Body, und zwar detailliert."
Genau das aber sollte eine Kultur, die den Namen noch verdient. Und nicht wie die Deutsche Grammophon im Verdi-Jahr 2001 den alten Opernsack ein letztes Mal mit Iris Berben und Harald Schmidt zu verscherbeln trachten. Denn siehe, der "Trachtenlook der Zukunft" kommt eh aus dem Trachtenhaus Stamsried/Oberpfalz. Und eben nicht mehr aus Salzburg, wo man aber im August den Festspielpöbel zuerst mit dem Namen Hans Neuenfels in die "Fledermaus" lockte, dann aber nach dem ebenso erwartbaren wie voll eintreffenden Oberscheißdreck die Rückgabe des Eintrittsgeldes einforderte. Freilich, auch diese Routine-Inferiorität des modernen Operntheaters kriegte noch ihren Meister gezeigt im November durch einen Hamburger Verdi-"Don Carlo", dessen Hauptpointe nach dem gußeisernen Willen des Regisseurs Konwitschny darin gründete, daß die sekttrinkenden Pausenabsteher von zum Tode verurteilten Schauspieler-Choristen in den Zuschauerraum zurückgescheucht wurden, auf daß sie dort aufgewühlt zuschauen konnten, wie bei der Autodafé-Szene die nunmehr auf der Bühne sekttrinkenden Granden und Inquisitoren den Todgeweihten beim Todesgang zuschauen. O Dreck, laß nicht nach, die Spitzenkritiker von FAZ bis FR fanden's "spannend", "fesselnd", "aufregend", das in Hamburg zugegene Premierenpack überwiegend auch und sowieso - Hermann L. Gremliza schon 1990 anläßlich eines artverwandten Zadekschen Lulu-Gekaspers: "Wen sie doch heute (in Hamburg) ins Theater lassen."
Eventuell deshalb beendete H. D. Hüsch mit Wirkung vom 1.1.01 seine Theaterkarriere und will fortan bloß noch "Kabarettist als Philosoph" sein, weil: "Ich sing für die Verrückten" (Hüsch schon früher mal). Während der immer noch unter uns weilende Papst Woityla lieber gleich ins Kino geht. Nämlich sich am 1.9. die Vorab-Premiere eines neuen "Quo vadis"-Films zu Gemüte führte. Und v.a. über die Niedermachung Schirrmachers oder jedenfalls Nero-Ustinovs recht zufrieden war. Zufrieden konnte auch U. Wickert sein, weil er trotz bedenkenlosen Dummgeschwätzes über Bin Laden nicht hinausgeschmissen worden war. Sondern sogar noch eine neue Frau abkriegte.
Ähnlich knapp, aber sicher, überlebten die phasenweise stark gefährdeten Scharping, Trittin und der beste aller bisherigen Außenminister (dieser war wegen früherer Steinwerferei gefährdet, nicht wegen GenKnow-how). Und während Steffis und Andres Sohn durch den Namen "Jaden Gil" auf und uns zur ersten Last fiel, mußte Scharping sich allerdings mit dem leichten Strafhieb des neuen Decknamens "Bin Baden" bescheiden.
Der schönste Doppelname des Jahres geht diesmal an einen Mann und sogar Theaterchef: "Heiko Plapperer-Lüthgarth"; der aufhorchenlassendste Neologismus, knapp vorm "Disponibelraum" (früher: Rammelkammerl), passierte gleich zu Jahresbeginn mit dem seitens B. Becker erlittenen "Samenraub" durch eine vogelwilde russische "Samenräuberin". An Ordinärheit setzten aber dann die schwäbischen Grünen mit dem Wahlplakat "Grün fickt besser" noch einen drauf. Während die schon seit Jahrzehnten unermeßliche Jessica Stockmann-Ex-Stich im Verein mit der ihr verbündeten Bild-Zeitung diesmal fast wie Scharping baden ging: Die Neue Revue enthüllte am 1.3., daß die Bild-"Enthüllung" vom 21.2.2001, "auch" der frühere Stockmann-Stecher Westphal sei an Aids gestorben, von Bild selbst fast wortgleich schon am 18.11.1991 "enthüllt" worden war. Ja mei, man hat's schon schwer mit dem guten alten "Gedächtnis der Menschheit" (Walter Jens, 1990).
Bill Clinton wurde in Amerika zum 1.4. wieder zum "Deppen der Nation" gewählt und freute sich auch noch drüber, via Taschenbuchausgabe war aber jetzt gleichzeitig nachzulesen, daß laut Schirrmacher "Reich-Ranicki eine der schönsten Liebesgeschichten des Jahrhunderts geschrieben" hat. Die inzwischen 81jährige Ruine revanchierte sich, indem sie im Sommer via den Spiegel einen neuen literarischen "Kanon" für die postsäkulare Gesellschaft veröffentlichte, der allerdings für Eingeweihte vornehmlich vor dem Hintergrund allerlei hochheikler Liebesgeschichten und sonstiger Rammelversuche zu verstehen ist.
Der Sport im engeren Sinn kam im Jahr 2001 durch den Befund des Club-Managers Geenen an seine Spieler zum Tragen: "Ihr seid Dreck, Ihr seid Abschaum, Ihr seid Müll, Ihr seid wie Lepra!" - und für das letztere mußte sich Geenen tatsächlich ein paar Tage später bei allen Leprakranken entschuldigen. Der vorerwähnte Papst entschuldigte sich auch 2001 mit Jockel Fischer wahrhaft global um die Wette - in der Tennisbranche allerdings machte neben dem Samenrauben und dem wiederholten Aids im Vorjahr ein batteriebetriebenes Spiel "Laser Light Tennis" mit einmontierten "Tennis-Sounds" (Seles' Rückhandächzen? Steffis Jaden-Gil-Zeugung?) auf sich aufmerksam (Karstadt) - in Vertretung des Schwimmsports jedoch gestand Franziska van Almsick ein, sie wolle jetzt "mal im Grünen leben, vielleicht auch mit Hund. Was man halt so träumt, so völlig blöd. Klar will ich das alles, so was Normales."
Völlig normal findet auch die vielleicht noch einen Hauch unerquicklichere Ex-DDR-Schrapnelle und uns schon sei Jahrhunderten quälende Eisschnelläuferin "Gunda Niemann-Stirnemann", daß die Erfurter Eishalle ab sofort mit diesem ihrem für ca. 35 Olympiamedaillen und 185 gewonnenen Weltmeisterschaften einstehenden Namen geadelt wird - ja, selbst über den typisch tierischen thüringischen Witz, dann sollte aber eigentlich noch ihr Mädchenname "Kleemann" hinzukommen, kann sie gar nicht lachen: "Null, kein Ding. Ich mach mir da überhaupt keinen Kopf." Man glaubt's - und laut FR vom 7.11. findet sie das auch "gar nicht peinlich"; mehr schon, daß ihr durch ein, anders als im Fall Steffi-Andre, offenbar komplett planlos hergewürgtes (samenräuberisch unterschobenes?) Baby jetzt leider der Terminkalender hinsichtlich der WMs Nr. 186-92 ziemlich durcheinandergerate.
Weil, sie konnte ja nicht rechnen mit diesem in ihren Unterleib placierten "Querschläger"; so Gunda Niemann-Stirnemann-Kleemann wörtlich.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt