Inhalt der Printausgabe
Januar 2002
Humorkritik
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Bully revisited |
Ich kann nicht behaupten, daß ich diesen Erfolg vorausgesehen habe: "Der Schuh des Manitu" ist mit fast 11 Millionen Zuschauern der erfolgreichste deutsche Film seit 1985, als "Otto - der Film" damals mehr als 14 Millionen West- und Ostdeutsche in die Kinos zog. Ein Indiz deutete allerdings darauf hin, daß Michael Herbigs Genre-Parodie ein Renner werden könnte: Er hatte es bei der Pressevorführung geschafft, die Journalisten zum Lachen zu bringen. Und das passiert denen gewöhnlich nur bei Filmen, die entweder einen sehr speziellen Sinn für Komik ansprechen, oder solchen, die eine Komik transportieren, die einfach unwiderstehlich und damit mehrheitsfähig ist. Fast ein halbes Jahr ist das nun her. Und ich kann mich nicht erinnern, seither eine halbwegs gescheite Erklärung für diesen überragenden Publikumserfolg gelesen zu haben. "Ein Phänomen" - mehr ist den deutschen Filmkritikern zum "Schuh des Manitu" nicht eingefallen, und dafür haben sie einen Tritt verdient. Die meisten haben wieder mal reflexartig auf das "anspruchslose Kinopublikum" geschimpft - darauf schieben es Rezensenten gern, wenn ihre Vorbehalte keine Wirkung erzielen. Aus ihren Verdammungen spricht beileibe kein Neid - nein, da meldet sich die hilflose Wut derer, die das verraten sehen, was sie hochhalten; und sie halten nur das hoch, was ihre Unterstützung nötig hat, dann erst fühlen sie sich stark, stark genug zumindest, populäre Produkte wie dieses für "schwachsinnig" zu erklären, um sich weiteres Nachdenken zu ersparen. Dabei ist das Geheimnis dieses Erfolges doch recht offensichtlich: "Der Schuh des Manitu" ist im Prinzip der späte Triumph des deutschen Autorenfilms. Denn dahinter steht zunächst mal ein Mann: Michael "Bully" Herbig. Der Verlauf seiner Karriere klingt solide: Seit Anfang der 90er ist er im Geschäft, jahrelang hat er Funkserien gemacht, dann eine TV-Serie, 1999 seine erste Spielfilmregie mit "Erkan und Stefan". Das heißt, er hat gelernt, komische Einfälle in Serie zu entwickeln und schließlich auch umzusetzen. Beim "Schuh des Manitu" hat er praktisch alles gemacht: die Idee gehabt, am Drehbuch mitgeschrieben, Regie geführt, die beiden Hauptrollen übernommen, und sein eigener Produzent war er noch dazu. Warum wohl? Seine Antwort: "Ich hatte diese Vision und wollte auch keine Kompromisse machen. Entweder ganz oder gar nicht." Und das ist das Entscheidende: Herbig hat es riskiert, genau das zu machen, was ihm richtig und lustig erschien: "Unser Film sieht ganz einfach so aus, wie ich mir einen Western vorstelle…" Das hat er alles bereits gesagt, lange bevor der Erfolg abzusehen war. Aber wie sieht der Film eigentlich aus? Ich habe ihn mir jetzt noch einmal angeschaut: Er mischt die pathetischen Totalen und langen Kamerafahrten von Karl May-Epen mit suggestiven Großaufnahmen und schnellen Schnittfolgen, wie sie in Italo-Western gern benutzt wurden. Beides wird gebrochen durch unspektakuläre Halbtotalen, wie aus einem alltäglichen Fernsehspiel, und ein paar Revue-Einlagen - alles so sachdienlich eingesetzt, daß ich stets das beruhigende Gefühl hatte: Regie und Kamera wissen genau, was sie gerade parodieren und welchen Effekt sie damit erzielen wollen. Zu Versatzstücken der Cowboy- und Indianer-Mythen, die Herbig selbst genannt hat: "Der Schatz im Silbersee", "Der mit dem Wolf tanzt", "Indiana Jones" usw. kommen Dialoge, wie sie in vielen Buddy-Filmen seit Lemmon/Matthaus "Odd Couple" immer wieder gern gehört werden, und eine ganze Reihe von Variationen guter Einfälle, die von den Zucker-, den Farrelly-Brüdern u.a. entwickelt wurden. Dazu einige Spezialitäten aus der "Bully-Parade", vor allem der zartbayrische Akzent der beiden Hauptdarsteller. Zu loben wäre weiterhin die Rolle des Bösewichts: liebevoll geschrieben und ideal besetzt mit Sky Dumont, der für sich seitdem den Ruhm reklamieren kann, als einziger Darsteller in den beiden erfolgreichsten deutschen Nachkriegsfilmen mitzuspielen. Schwächen liegen - wie fast immer bei solchen Parodien - im dritten Akt, wenn die Fäden einer Handlung, die man längst als bloßen Vorwand für komische Momente entlarvt hat, wohl oder übel zu einem naturgemäß unbefriedigenden Ende zusammengeführt werden müssen. Manchmal wünschte ich mir, statt dessen käme einfach ein dicker Hund ins Bild mit dem Schlußtitel: "Und dies ist der dicke Hund, der die letzte Filmrolle aufgefressen hat." Sehr verdienstvoll fand ich die Ökonomie des Buchs: zum einen, jede, aber auch wirklich jede Szene mit einem zumindest komisch gemeinten Einfall zu pointieren, und zum anderen dabei möglichst häufig auf bereits eingeführte Motive zurückzugreifen. Wie dankbar das Publikum für diese Mischung aus Überraschendem und Wiedererkennbarem ist, habe ich noch im Ohr, seit ich den "Schuh des Manitu" zum ersten Mal mit zahlendem Publikum gesehen habe. Glück hat Herbig natürlich auch gehabt, Anfängerglück: "Es gab keinen Moment, wo die Leute sagten, das funktioniert nicht, oder, es ist nicht komisch." Das galt schon für die erste Drehbuchfassung. Trotzdem hat er sich nicht zufrieden gegeben und eine Gagdichte erreicht, die dem Publikum jedes Nachdenken und dem einmal erreichten Hochgefühl längere Durchhänger erspart. "Man sollte so lange am Buch herumfeilen, bis man wirklich ein gutes Gefühl dabei hat." Was Herbig sagt, klingt alles nicht sehr originell, es ist bloß vernünftig und leider nicht ganz selbstverständlich. Das Kunstverständnis der deutschen Filmkritik etwa wird schwer beleidigt von Herbigs Credo: "Jedes Genre und jede Art von Film haben ihre Berechtigung und ihre Zuschauer. Deshalb würde ich mich nie abwertend über ein Genre äußern. Und wenn du ein Genre gut bedienst und die Leute damit unterhältst, dann ist auch dies eine Form von Kunst." Und daß sie leichter zu verstehen ist und von mehr Zuschauern verstanden wird als andere, das spricht ja noch nicht gegen diese Form. Bleibt die Frage: Was wird Michael Herbig als nächstes machen - mit diesem Erfolg im Rücken? Ich kann nur hoffen, daß er sich von dieser Last nicht zu sehr bedrückt fühlt und weiter das machen wird, was ihm Spaß macht. Falls man ihn läßt… Denn jetzt, da sie das Rezept zu kennen glauben, werden sie alle mitreden wollen. Und schon schreckt Herbig mich mit dunklen Andeutungen wie der, "eines Tages gerne mal komplett das Genre wechseln" zu wollen, "um die Leute damit zu überraschen". Überrascht wäre ich nicht. Nur um eine Hoffnung ärmer. |
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