Inhalt der Printausgabe
Januar 2002
Vom Fachmann für Kenner (Seite 15 von 15) |
Kino Im Kinofoyer huscht eine Blonde mit Begleitung vorbei, deren auffällig große Nase und an den Rändern auffällig ausgefranstes Grinsen irritierend vertraut erscheinen. Nur - wieso? Mangels schlüssigerer Erklärung halte ich sie für eine entfernte Bekannte, eine, die man besser nicht grüßt, weil einem der Name längst entfallen ist. Ich grüße also besser nicht und gehe rein, ins Kino. Drin, im Kino, nehme ich neben U. Platz, die sogleich aufgeregt berichtet: "Wißt ihr, wen ich gerade draußen gesehen habe? Kerstin, die Blonde aus ›Big Brother‹! Ich hab sie erst nicht gleich erkannt und gedacht, es wäre eine Bekannte." Schon tröstlich, daß man Leute, deren Abbild man zwei, drei- (jedes?)mal auf der Mattscheibe gesehen und dann glücklich vergessen hat, erkennt man dieses plötzlich im richtigen Leben (hier: im Kino!) wieder, wie programmiert mit immerhin peripher freundschaftlichen Gefühlen bedenkt. Es hat, gegen alle Erwartungen, anscheinend doch eine stark gemeinschaftsstiftende Wirkung, daß man seine Mitmenschen im TV von früh bis spät und ausschließlich als Vollidioten vorgeführt bekommt, einerseits. Andererseits: sieht darin vermutlich doch wieder nur jeder einzelne die naheliegende Möglichkeit, sich selbst als größten aller Vollidioten zu begreifen - und alle anderen bloß als entfernte Bekannte, die man besser nicht grüßt. Benjamin Schiffner
|
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 |