Inhalt der Printausgabe
August 2002
Humorkritik
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Beladene Mädels (2 von 2) |
Es scheint, daß den Zuständigen wieder mal die alte Faustregel für Nutzlasten der karikierenden Überladung hergebetet werden muß (tatsächlich bedeutet "caricare" zunächst einfach "die Karre beladen", "Karikatur" ist demnach die "beladene" Darstellung). Jene Faustregel, der zufolge in der Kunst, nicht anders als auf der Straße, gilt: Die Überladung darf um so heftiger ausfallen, je kürzer sie ertragen werden muß. Wo ein Einzelbild angefertigt wird, beim politischen Cartoon etwa, kann, ja muß gewaltig überzeichnet werden; umgekehrt kann im abendfüllenden Film schon minimale Übertreibung karikierend entlarven, wenn sie dauerhaft durchgehalten wird. Dafür liefert etwa Eric Rohmers Zyklus "Komödien und Sprichwörter" hübsche Beispiele: In "Pauline am Strand" fand ich den Verehrer von Paulines Mutter, der zunächst attraktiv und vernünftig erscheint, nach rund einer Stunde Film zur Witzfigur mutiert, ohne daß er sich wesentlich gewandelt hätte - die Summe seiner Aussagen und Verhaltensweisen ist's, die allmählich seine eitle Egomanie offenbart. Just weil ich diesen Mann soeben noch sympathisch gefunden hab', betrifft mich die auf Samtpfoten eingetretene Disqualifizierung gleichwohl sehr direkt; die knalligeren Effekte in "Natürlich blond" verpuffen wirkungslos, weil ich mich vom Klischee-Blondchen Elle Woods schon beim ersten Auftreten innerlich verabschiede. Ende der Abschweifung, zurück zur "Ghost World": Daniel Clowes, Autor der Comicvorlage, hat mitgearbeitet - gut möglich, daß er für jene subtilen Stilmittel verantwortlich zeichnet, die den lt. Zitty "melancholischen" Film doch eindeutig als Komödie kennzeichnen. Die unauffälligen, doch refrainmäßig exakten Wiederholungen etwa: Drei der Figuren treten je einmal als Flohmarktverkäufer in Aktion, jede von ihnen antwortet auf die Frage nach dem Preis eines ausliegenden Artikels: "Das? Das ist nicht verkäuflich." Geradezu mustergültig befolgen Clowes/Zwigoff die oben erwähnte Regel, indem Nebenfiguren, Enids Vater z.B., kräftig, die Hauptpersonen dagegen nur zart überzeichnet erscheinen. Überhaupt lebt "Ghost World" von der Protagonistin, deren wundersame Charakterzüge und Vorlieben mich garantiert noch in einer achtundzwanzigsten Fortsetzung fesseln würden: Enid ist altklug, anspruchsvoll, gelangweilt und keinesfalls sexy, kurz: Sie bringt alles mit, was ein Mädel attraktiv macht. Und ihr gelingt, was echten Helden vorbehalten ist: gründlich, trocken und tragikfrei zu scheitern. Extra-Amusement übrigens hat mir der Filmtitel beschert, genauer die unermüdliche Rätselei der Kritikerkollegen, was zum Teufel mit der "Ghost World" gemeint sein könne: der Supermarkt Amerika? Die Spätpubertät? Die gespenstisch fremde Sphäre der Erwachsenen? Meinen Lesern sei exklusiv die richtige Übersetzung des Titels mitgeteilt, sie lautet schlicht und ergeifend: Welt. Die nämlich heißt auf amerikanisch "Ghost World" - jedenfalls in Daniel Clowes' Comic und Terry Zwigoffs Film. |
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