Inhalt der Printausgabe
August 2002
Humorkritik
(Seite 3 von 8)
"Der wahre E" |
So heißt ein Wörterbuch der DDR-Soldatensprache, fleißig kompiliert von Klaus-Peter Möller (Lukas Verlag). Daß er zwischen Soldatensprache, Offizierssprache und allgemeiner Militärsprache unterscheidet, weist ihn als Mann mit ernsten Absichten aus. Was schon wieder komisch wirkt, denn mit den Mitteln des Wörterbuchs ist das schillernde Register von Bedeutungsnuancen und Konnotationen zahlreicher Lexeme, die je nach Situation auf unterschiedliche Weise verwendet werden konnten, nur schwer darstellbar. Und gewiß gehört auch ein hoher Grad Verbissenheit dazu, Tausende Synonyme für den Begriff Nichtstun ("Abdul anbeten", "Radkästen anwärmen") zu archivieren und so bocksteif wie möglich zu erklären. Knapp gefolgt in der Häufigkeitshitparade wird das Faulenzen von den Tarnbegriffen für die geschlechtliche Interaktion ("Kompanieentsafter: Mädchen, dem ein abwechslungsreiches Liebesleben nachgesagt wurde") und die Einnahme von Alkoholika ("0,7-Glasmantelgeschoß", "Granate mit Schraubzünder entschärfen"). Superlative, Kontrafakturen, Schimpfnamen für Feiglinge ("Hustensaftschmuggler"), umgedeutete Abkürzungen (hier: NVA = Nationale Verrückten Anstalt) oder witzige Zielansprachen wie "kniende Ameise, halb links, 400 Meter" wird es sicher in jeder Armee geben (vgl. auch "Humor in Uniform", Rastatt 1990; "So lacht man im Schützengraben", Königsberg 1898). Was dieses Wörterbuch wirklich zu etwas Besonderem macht, ist die akribische Auflistung sogenannter EK-Belustigungen. "EK" stand für Entlassungskandidat (noch kürzer "E"; siehe Buchtitel). "Die E's beanspruchten eine Vorzugs- und Vormachtstellung dienstjüngeren Soldaten gegenüber, die nicht selten auch von den Vorgesetzten akzeptiert wurde." Einige der eigenartigsten Rituale seien hier beweishalber kurz zitiert: Erstens: "Heimfahrt. EK-Belustigung: durch Vorbeitragen von Bäumen und Ortsschildern am Fenster, Rütteln am Bett, Bedienung wie durch Mitropa-Kellner usw. wurde die Heimfahrt der EK's simuliert." Zweitens: "Hawaii spielen. EK-Belustigung: mit Hilfe von Sand, der in die Unterkunftsstube getragen worden war, Decken u.a. Utensilien wurde eine Strandsituation simuliert, in der sich der EK von den Soldaten des 1. Diensthalbjahres bedienen ließ." Drittens: "Reisernte. EK-Belustigung: Soldaten des 1. DHJ mußten auf Knien über den Flur rutschen und dabei Ernte-Bewegungen ausführen und Laute von sich geben, die die chinesische Sprache nachahmen sollten: ›Hing hang hung. Wiau Piau. Mejing fingin. Ent las sung!‹ usw." Und, schließlich, viertens: "Staubsauger. Berüchtigte EK-Belustigung: der Atemschlauch der Schutzmaske wurde mit der flachen Hand zugehalten, so daß der Träger der Maske keine Luft bekam, dann wurde der Atemweg plötzlich freigegeben und das Ende des Atemschlauchs in einen vollen Aschenbecher gehalten." Selten wohl gab es einen größeren Erfindungsreichtum an Schikanen als in dieser sozialistischen Volksarmee. Wie lustig wären sie wohl erst mit ihren Feinden umgesprungen? |
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