Inhalt der Printausgabe

August 2002


Mann, ist der lang, Mann...


AUCH IN UNSERER AUFGEKLÄRTEN WESTLICHEN ZIVILISATION GIBT ES TABUS: THEMEN, DIE NIEMALS IHREN WEG IN MEDIEN, COCKTAIL-GESPRÄCHE ODER LAUTSPRECHER-DURCHSAGEN BEIM PFERDERENNEN FINDEN,
wenn nicht ein kritischer Aufklärer wie etwa Pelé sie öffentlich anspricht. Aber nicht nur der Brasilianer ist ein Garant dafür, daß Erektionsschwäche und Größe primärer männlicher Geschlechtsmerkmale derzeit so offen in den Medien thematisiert werden, sondern auch Kai Diekmann.

Martin Sonneborn, Chefredakteur
Martin Sonneborn,
Chefredakteur
Diekmann, der als Chefredakteur von Bild seit Jahren aus seiner eigenen Zeitung sehr gut über Penisneid, -länge und -durchschnittsgröße informiert ist, hat Angst, daß die deutsche Öffentlichkeit denkt, er habe einen zu kleinen Penis.
Das ist nichts ungewöhnliches, sondern ein uralter Männeralptraum, möglicherweise begründet durch einen zu kleinen Penis.

Auslöser für seine Furcht ist ein satirischer Artikel auf der "Wahrheits"-Seite der taz. Nachdem dort in Bild-Manier über eine angebliche Penisverlängerung bei Diekmann berichtet wurde, forderte dieser ein Schmerzensgeld in Höhe von 30 000 Euro. (Zum Vergleich: ein Pfund Butter kostet in Frankfurt etwa 1,99, eine Penisverlängerung rund 15 000, zwei Penisverlängerungen 30 000 Euro.)

Peinliche Situation
Von Chefredakteuren gefürchtet: Peinliche Situation in der Morgenkonferenz!

Wir wissen nicht genau, was in dem strittigen Artikel stand, denn dieser ist seit geraumer Zeit aus dem online-Archiv der tageszeitung verschwunden. Aber wir wissen, was übrig bleibt, wenn Diekmanns Anwälte ihn "seines in Wort und Bild gewählten Gewandes entkleiden, um seinen Inhalt erkennen zu lassen": nämlich "nichts als Mißachtung und Schmähung", die Behauptung, Diekmann "leide seit seiner Jugend unter einem zu kleinen Geschlechtsteil, gebe sich nur nach außen viril und jovial, sei in Wirklichkeit kastriert, er leide unter einem Minderwertigkeitskomplex und könne keine Frau penetrieren".

Trotz sofort eingeleiteter Recherchen bei Bild-Redakteuren und früheren Mitschülern Diekmanns an der Bielefelder Marien-Schule wissen nicht einmal wir, inwieweit diese Behauptungen zutreffen. Vielleicht ist alles ganz anders, der Mann gibt sich auch nach innen jovial und genießt seinen Minderwertigkeitskomplex.

Eventuell liegt auch nur ein Mißverständnis vor. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß ganze Generationen männlicher TITANIC-Redakteure unter der viel zu geringen Ausprägung ihrer Geschlechtsteile litten. Und zwar bis zu dem Tag, an dem sich herausstellte, daß die zwei Zeichner, die sich vor Jahren zur Demonstration ihrer Männlichkeit nachts auf den Redaktionskopierer gelegt hatten, diesen im Vollrausch aus Versehen auf 130 Prozent Vergrößerung gestellt hatten. Erleichtert rissen wir die Kopien vom schwarzen Brett und aus den Personalakten, stellten den Kopierer richtig ein und besorgten uns neue Psychosen.

Um aber im vorliegenden Fall eine versöhnliche Lösung zu finden, fordern wir Sie, liebe Leser, auf, Ihre Vorstellungen von Diekmanns Penis einmal maßstabsgetreu zu Papier zu bringen (Seite 59). Wenn er sieht, daß ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit ihn im Besitz eines sogenannten "Monsterschwanzes" (Fachpresse) wähnt, gibt er vielleicht Ruhe.

Herzlichst, Ihr Martin Sonneborn


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt