Inhalt der Printausgabe

September 2001


Das Super-Sexy-Satire-Spritzpistolen-Schwebe-Blatt
(Seite 6 von 8)

Dies war auch der wesentliche Unterschied zu den althergebrachten Satirejournalen und die interessanteste Neuerung: die lausbübische Unverfrorenheit, mit der die Pardonisten ans Tagwerk gingen, der Hang zu Streich und Schabernack, zum practical joke, denn vor allem jenseits der Redaktionsräume, in der Realwelt, ist die Spritzpistole eine wirkungsvolle Waffe. Sie kann zwar keine bleibenden Schäden anrichten, dafür kann sie aber nerven, nervös machen, schlafende Hunde wecken und für Flecken auf weißen Westen sorgen - was will man denn mehr?
Also gingen die Redakteure, noch lange vor den Studenten, auf die Straße, wurden zur ersten Spaßguerilla, hetzten die Grubenhunde los und segelten unter falscher Flagge, wie sie gerade lustig waren.

Pardon Redaktion
In der Pardon-Redaktion: Jungredakteur Gernhardt prüft Manuskripte (1965)


Im Oktoberheft 1963 berichtet die Redaktion über ihren beherzten Vorstoß, den damals schon schnauzbärtigen und berühmten, wegen seiner Sex-Sauereien gleichwohl nicht unumstrittenen Günter Grass zum Nationaldenkmal zu stilisieren. Mit einer Grass-Büste bewaffnet stürmen Traxler und Poth mit einigen anderen Kollegen die Walhalla bei Regensburg, diesen Ruhmestempel, den Ludwig I. zur "Erstarkung und Vermehrung deutschen Sinnes" hoch über der Donau aufgebaut hatte, plazieren die Büste zwischen denen anderer germanischer Großgeister und Rauschebartträger und schlagen schließlich wie von Sinnen auf Blechtrommeln herum. Die "beispiellose Mißachtung eines deutschen Nationaldenkmals" in Tateinheit mit der Verhöhnung des "gesunden Volksempfindens" wurde nach der spektakulären Aktion von bayerischen Medien besonders gewürdigt.
Danach sorgt Traxlers Archäologensatire "Die Wahrheit über Hänsel und Gretel" für Verwirrung in Wissenschaftlerkreisen, Günther Wallraff wird aktiv und sorgt mit seinen ›Rollen-Reportagen‹ für Empörung bei Industriellen und Klerikern: Er berichtet über die erbärmlichen Zustände an schlechtbezahlten Arbeitsplätzen; und er beichtet katholischen Priestern, daß er Chemie-Fabrikant sei und ein Verfahren gefunden habe, besonders billiges Napalm herzustellen, weswegen er bereits einen US-Auftrag für Vietnam bekommen habe. Mit wenigen Ausnahmen erteilen die Gottesmänner Absolution ("Da brauchen Sie eigentlich keine Gewissensbisse zu haben, mit dem Geld können Sie ja dann auch allerhand Gutes tun"). Der böswilligen Unterstellung, Bundespräsident Lübke könne nicht geradeaus sprechen, wirkt Pardon mit einer Schallplatte seiner schönsten Versprecher entgegen.
Die Kollegen von der Frankfurter Rundschau freuen sich im August 1967, als erste deutsche Zeitung in exklusiver Aufmachung und mit vielen Fotos von einer unerhört schlimmen LSD-Orgie berichten zu können. Leider war hinterher unklar, wer die Halluzinationen hatte: die FR-Reporter, die eine Horde grölender, sabbernder, kreischender und im Rausch auf Matratzen sich wälzender Provos fotografierte - oder die völlig nüchternen Pardon-Redakteure, die den Reportern diese Laienvorstellung gaben; und der Mann, dessen Kopf im Rahmen dieser inszenierten Orgie die ganze Zeit in einer Papiertüte steckte, war der schon gesichtsbekannte Chefredakteur Nikel höchstpersönlich.
Niemand war sicher: Dutzende deutscher Literaturverlage blamierten sich, weil sie das Manuskript eines gewissen Bob Hansen wegen mangelnder Qualität ablehnten - es waren acht abgetippte Seiten aus Robert Musils Mann ohne Eigenschaften, nur die Eigennamen waren verändert. Keiner erkannte das Original, weder der Hochkultur-Verlag Suhrkamp noch der Musil-Verlag Rowohlt.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg