Inhalt der Printausgabe
September 2001
Humorkritik
(Seite 5 von 8)
Bekloppte Finnen |
Nicht eben viele Stimmen existieren, die der Musik, welcher auch immer, komische Qualitäten attestieren, von Schopenhauer her schreibt sich da meist die Tradition, dem Getön höchste Ernsthaftigkeitsweihen zu verleihen. Im Pop sieht es nicht besser aus. Es gibt kaum Gründe, über die älteren Kraftmeierposen des Rock oder über die neueren esoterischen Pirouetten von House, DownHop, Dub oder Techno oder sonst einem elektronischen Gekasper zu lachen. Wenn das "musikalische Material" (Adorno) nichts taugt, könnte indes zumindest die Literatur zum Thema was abwerfen - allein, seit Diederichsen nur Autorenhybris, quälendstes Granitdenkertum, bescheuerte Akademisierungsrituale und sockiges Pathos. In Marcel Feiges Monographie "Deep in Techno - Die ganze Geschichte des Movements" (Schwarzkopf & Schwarzkopf) z. B. habe ich auf 340 Seiten nicht einen Satz gefunden, der eine wenigstens winzige und minimal witzige Distanz zur heiligen Sache herstellt. So sind also, dämmert es einem, die "Spaßgesellschaft" und deren integraler Bestandteil beschaffen, "eine Musik, die für sich beansprucht, die Zukunft zu sein …" Es müssen offenbar wieder die Finnen ran und die triste Gegenwart erretten. M. A. Numminen ereilte hier bereits das verdiente Lob (vgl. TITANIC 11/2000, 5/2001), aber das Instrumentaltrio Aavikko, dessen CD "Multi Muysic" (Hawaii Sounds/Indigo) mich unvorbereitet erreichte, schlägt den Crossoverwahnsinn des Wittgensteinsoziologen und Bierologen um drei Schallplattenlängen, wahrscheinlich; es ist dies bei Musik ja wirklich schwer in diederichseneske "Kategorien" zu packen, weil es Tomi Kosonen (Elektroorgeln), Tomi Leppänen (Schlagzeug) und Paul "Graf" Staufenbiel (Elektroorgeln) nicht darauf anlegen, komisch zu klingen. Sie tun's jedoch und orgeln wie die Irren durch ihre zwölf kurzen Stücke, und wann passiert es einem schon, daß man mit den ersten Takten einer völlig bekloppten und zugleich tatsächlich künstlerisch taktvoll tarierten Melange aus Synthie-Basslines, "Monkey Jazz", "Quasi-Disco-Boogie" und meinetwegen "Lounge mit 78 Umdrehungen" in eine beschwingte, ja schwingend fröhliche, kurz: lustige Swinglaune verfällt? "Casio-Core" nennt der Waschzettel (übrigens der erste, den ich zu Gesicht bekam, der nicht die üblichen grauenhaften Popbusinessphrasen bemüht und, ein Wunder, hervorragende Ansätze zum Komischen beweist) das "Wirrwarr mit Herz und System" sehr erhellend und richtig. Die drei Herren "beuten schamlos das standardisierte Rhythmusangebot der Firmen Yamaha, Casio und Korg aus und lassen daraus unfaßbare, slawisch und orientalisch beeinflußte Popmelodien hervorkriechen", heißt es. Und deshalb dürfen wir uns freuen, daß sich der sterbensöde Elektrojapaner mit dem grimmigen Slawen und dem höllischen Islamer vereint, und das auf Betreiben jener furchtlos haltlosen Burschen, die aus Siilinjärvi kommen - der ostfinnischen "Metropole in der Provinz Savo; einzige und deshalb bedeutendste Sehenswürdigkeit: Sandgruben." |
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |