Inhalt der Printausgabe
Juni 2001
Humorkritik
(Seite 6 von 8)
Doppel-Polt |
Vor einem halben Jahr erschien bei Kein & Aber die neueste CD von Gerhard Polt "Und wer zahlt's?", und trotz zweiundzwanzigmaligen Kompletthörens kann ich mich bis heute nicht entscheiden, welche der durchweg hochartistischen elf Livenummern man auf dem Stockerl postieren soll - die grandios wabernde und kreiselnde Meditation "Der Gedanke"? Die knappe Dummbeutelentrüstung "Quanta costa"? Die wieder epische Giftelerwägung über "Toleranz"? Halt, das sind ja die Tracks Nummer eins, zwei und drei! Ab jetzt wird die Zufallstaste gedrückt. Der Wortfinder und -erfinder, der Satzverwirrer und Bedeutungsverwusler Polt kommt, und nicht zuletzt darin liegt seine Genialität, seine schwer beschreibbare, herzergreifend wahrhaftige Singularität begründet, fast ohne Pointen aus. Jedes Stück sucht der Wirklichkeit - der Wirklichkeit jenseits der comedyverseuchten Wahrnehmung - zu dem Triumph zu verhelfen, den sie, komprimiert und veredelt zu "narrativer" (Polt) Kunst, verdient. Ich warte auf eine Plattenproduktion, die mich der qualvollen Wahl enthebt und siebzig Minuten lang einen Ein-Szenen-Polt präsentiert, der z. B. das unermeßliche Geschwalle und schauderhafte Geblödel einer Bad Hausener oder Neuendettelsauer Gemeinderatssitzung ins Wort erlöst. Die zarte, melancholische und im unkorrumpierten Sinn humane Anekdote "Heute wegen Tod geschlossen" beschließt "Und wer zahlt's?" - und gibt dem nun ebenfalls bei Kein & Aber publizierten Band mit "Dialogen von A nach B" den Titel. Hier erweist Polt der Realität die Ehre - naturgemäß weniger als Meister der großen komischen Bühnenform, sondern als bescheidener Zuhörer und Beobachter, der am Wirtshaustisch oder am Gartenzaun das Gewöhnliche und Verrutschte, das Kleine und Kleinliche registriert, das zum Größenwahn tendiert. Polt liebt seine Figuren. "Was die sagen, ist ja nie ganz falsch und nie ganz richtig", erklärte er der Süddeutschen Zeitung, und unterm Stern der eigentümlichen, disparaten Alltagsdialektik ohne harmonisierende Synthese gedeihen erkenntnistheoretische Miniaturen, die entweder im Dilemma, in der Dusselei, in der damischen Bosheit oder schlicht im sokratischen "Ahaaa!" bzw. "…?!" erstarren. Polts Präzision und Noblesse erzeugen einen Ton, der bisweilen der Gemeinheit eine gemütvolle Freundlichkeit verleiht. Ich wiederhole mich: Jeder Satz eine Offenbarung über die Welt, geschöpft aus der Erfahrung, der Neugier, der Freude am Unfug und an der poetischen Stegreifproduktivität der "Leut'". "Der Kormoran ist kein Reiher", ein Problem, gewiß, und das Problem der Wühlmäuse beseitigt "die Wühlmausschockanlage", während mich das Problem umtreibt, jetzt gar nicht mehr genauer empfehlen, sondern nur noch befehlen zu können, die skandalös wenigen (sechzig) Seiten zu lesen. Demnächst bitte ein Tripelalbum mit vier Textbüchern im Schuber. Ich würd's zahlen. |
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |