Inhalt der Printausgabe
Juni 2001
Humorkritik
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Weltbewegende Heiden |
Rekordverdächtig scheint die Verwirrung, die der vorpommerische Autor Ehm Welk (1884-1966) mit seinem ebenso kurzen wie seltsamen Namen ausgelöst hat. So vermutet das Große Meyersche Lexikon, Welk habe "eigtl. Thomas Trimm" geheißen; umgekehrt verzeichnet der Kindler jenen Trimm als Pseudonym eines bürgerlichen Ehm Welk; der Brockhaus wiederum steuert einen Geburtsnamen Erich Welk zur Konfusion bei - die um so mehr erstaunt, als Verrätselungs-Possen durchaus nicht Welks Sache waren. Ja, just als Deckung notgetan hätte, hat kein Deckname genützt: Eine Thomas-Trimm-Kolumne von 1934 bescherte dem Autor einen einwöchigen KZ-Aufenthalt. Entlassen wurde Welk mit der Auflage, nur mehr unpolitische Schriften zu veröffentlichen, woran er sich gehalten hat - auch, als eine Gruppe 47 das neue Fähnchen einer forciert politischen Literatur hißte. Noch aus der Nazizeit datiert der erste und erfolgreichste von sieben Welk-Romanen: "Die Heiden von Kummerow" (1937) erreichten eine Millionenauflage; eine populäre DEFA-Verfilmung steigerte den Ruhm, der bis heute anhält. Freilich nurmehr im Umkreis von Welks Geburtsort Biesenbrow bei Angermünde, jenem Dorf, das als Roman-Schauplatz Kummerow heißt; der Volksschriftsteller ist zum Lokalhelden verkommen. Als heiterer Autor und Ethnologe uckermärkischen Brauchtums ist Welk mir empfohlen worden; zu meiner freudigsten Überraschung ist er keins von beidem. Vielmehr offenbart der vermeintliche Regionalliga-Autor erzählerische Souveränität, wie sie im zwanzigsten Jahrhundert allenfalls eine Handvoll Deutschsprachige bieten. Bekanntlich - oder, was unsere Feuilletonisten angeht, unbekannterweise - gehört zu einem großen Stilisten, daß er keiner vordergründigen Stilisierung huldigt, weshalb ich keinem Th. Mann, Th. Bernhard oder Th. Brasch ein entsprechendes Gütesiegel zusprechen mag; Welk, der in schönem Wechsel schön einfache und schön komplizierte Sätze baut, durchaus. Ebenso organisch changiert er zwischen auktorialer und subjektiver Perspektive. Die Erlebnisse des zehnjährigen Helden Martin Grambauer werden vom erwachsenen Erzähler moderiert, der sich aber in den schulpflichtigen Protagonisten hineinverwandelt, sooft Abenteuer zu bestehen sind. Wobei Martin, wie sich's für einen Helden gehört, die Führungsrolle beansprucht, etwa als Chef einer selbsternannten Kinder-Armee, die auf ihrem euphorischen Feldzug erst von Müdigkeit, dann von der Dunkelheit und schließlich von einem Gewitter überrascht wird: "Mit der Begeisterung ist das eine sonderbare musikalische Sache. Sie hat ihre Zündung in der Seele und ihren Brennstoff im Geist, aber im Körper hat sie ihren Blasebalg. Wenn der nicht mehr richtig pustet, geht sie flöten", sinniert der Erzähler, um gleich darauf vor Ort zu sein, wo sein Held als Motivationskünstler gefordert ist: "Die zuerst freigebig angedrohten und dann auch freigebig verteilten Maulschellen halfen nur auf immer kürzer werdende Distanz." Nachts über einen Gespensterberg zu müssen; zusehen zu müssen, wie ein Tier zu Tode geprügelt wird - die weltbewegenden Ereignisse unsrer Kindheit sind durch nichts Späteres zu toppen. Welk kann's bezeugen: Tatsächlich hat sein hinterwäldlerisches Kummerow nichts Beschränktes, ganz im Gegensatz etwa zu jener masurischen Heimat, die Siegfried Lenz in "So zärtlich war Suleyken" mit Dorfdeppen und Karikaturen bevölkert. Anders als sie lassen sich die Heiden nicht aus der Distanz belächeln; wer den verhandelten Fragen um Gott und die Welt nichts abgewinnen kann, muß aussteigen. Und ebenso, wer den von Welk-Rezensionen und Verfilmung suggerierten "heiteren" Roman sucht. Auch wenn die vordergründige Lausbuben-Thematik Unterhaltung à la Tom Sawyer versprechen mag: Hier handelt sich's um ein pathetisches Buch, seine turbulentesten Szenen unterstreichen das nur - nicht anders als im guten Western, der ja, allem Kugelhagel zum Trotz, partout keinen Actionfilm abgibt. Deshalb zeigt, wenn ich mich bei aller Welk-Freude zuletzt doch auf meinen Humorkritiker-Beruf besinne, der Daumen nach unten: Eindeutig, ein komisches Buch ist das nicht; und zwar - auch das muß der alte Mentz einmal konstatieren dürfen - glücklicherweise. |
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