Inhalt der Printausgabe

Juni 2001


Humorkritik
(Seite 4 von 8)

Sachsendreier

Es begab sich 1999 im Herbst, da erschien in der Tageszeitung Junge Welt eine kleine Rezension der Live-CD "Sachsendreier" (Buschfunk) der Bands Stern Combo Meißen, Electra und Lift. Das Fazit muß nicht eben schmeichelhaft für die Bands ausgefallen sein, denn sie fahndeten auf der Stelle nach dem Urheber (Name ist H. M. bekannt), um ihn vielleicht auch tüchtig zu verhauen. Das hat nicht geklappt, dafür trafen sie sich unvermittelt mit dem alt- und gutgedienten DDR-Rockjournalisten Jürgen Balitzki, und der hat gleich ein ganzes Buch daraus gemacht, quasi eine Triobio. Jürgen Balitzki kann das. Immerhin hatte dieser Mann vor Zeiten das einzig lesbare Buch zur DDR-Rockmusik verfaßt ("Rock aus erster Hand", Verlag Lied der Zeit, Berlin 1985).
Auch das Buch "Geschichten vom Sachsendreier" (Schwarzkopf & Schwarzkopf) ist extrem lesbar. Und man kann daraus lustige Sachen erfahren, zum Beispiel über die in den Siebzigern aufkommenden Allüren sächsischer Rockkleinstars (Dresdner Kellnern Fuffzschmarkscheine an die Stirnen pappen und unter den Tisch pinkeln) oder darüber, daß Electra-Bandchef Bernd Aust beim Zehnminutenlied "Tritt ein in den Dom" für den lispelnden Leadsänger Stefan Trepte sämtliche S des Textes einsingen mußte, oder wie "Rocktexte" mit richtigen Konjunktiven verfaßt wurden. Das absolute Prunkstück dieses Buches jedoch ist "Rockprofessor" Peter Wickes dreiseitige Analyse ("strukturelles Hören") zum Stern Combo-Titel "Licht in das Dunkel". Meine derzeitige Favoritenpassage: "Bereits die vorangestellte kurze Einleitung erweist sich in sich metrisch und harmonisch labil. Mit scharfen Sekundvorschlägen fügt sich im 6/8-Takt der Tonikadreiklang (a-Moll) mit ausgesparter Terz Ton für Ton in Synthesizer und Orgel abwärts fallend auf das voluminöse Fundament des Grundtons in der Baßgitarre. Das Tongeschlecht verbleibt im Unbestimmten." Auch zu lesen: "Problemazität", "Realitätssubstrat", "irreduzible Dimension", "Effabilität": großartig, man möchte weinen vor Glück und Freude. Lobend ist zudem anzumerken, daß es das nachweislich erste Buch aus dem Hause Schwarzkopf & Schwarzkopf ist, welches ohne Fehlerorgien auskommt. Dafür hat sich der kleine Junge Welt-Artikel gelohnt, ja fast die ganze kleine narrische Zeitung, möchte ich behaupten.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg