Inhalt der Printausgabe
Januar 2001
Was taugen Pheromone? Erst war das Kondom in aller Munde. Dann Cybersex, Gender, Dolly Buster. Dann waren es auf einmal die Pheromone (Seite 2 von 11) |
Aus Göttingen berichtet Gerhard Henschel: |
Wir ziehen um, gießen Success nach und suchen "Wölfis Tanzdiele" im Verbrecherviertel von Göttingen auf. Als wir eintreffen, quillt ein Mann aus der Tür, der uns sagt, daß wir den Laden vergessen könnten. Ein Freistilringer knöpft uns jeweils fünf Mark ab, zieht dann die Vorhanghälften auseinander und stößt uns ins Lokal.
Was sich bietet, ist ein Bild des Jammers. Neben der leeren Tanzfläche bevölkern drei weibliche Trauerklöße einen groben Holztisch. Am Tresen lehnen Unholde mit Plauze und bellen irgendwas in Mobiltelefone, Schießbefehle vielleicht. Dazu erschallt grauenhafte Bumsfallera-Musik. Der DJ, ein mürrischer junger Mann, sieht nicht so aus, ob er die Arbeit in "Wölfis Tanzdiele" als Sprungbrett in eine internationale Karriere betrachte. Miese Kunstpalmen runden das Bild auf ihre Weise ab.
Menschen, die Selbstmord begehen möchten, kann in "Wölfis Tanzdiele" geholfen werden. Sie müssen sich nur an einen der zahlreichen Panzerknacker wenden und ihn höflich fragen, ob sein Oberlippenbärtchen echt sei oder ob er das Ding aus den Schamhaaren seiner toten Großmutter gebastelt habe. Zack, schon wäre man tot.
Wir wählen einen Tisch in der Nähe des Notausgangs, bestellen zwei Pils und registrieren aus den Augenwinkeln die begehrlichen Blicke vom Damenstammtisch. Fangen jetzt die Pheromone an zu wirken?
Herr Schmidt gerät ins Schwitzen. Auf seiner Stirnglatze spiegeln sich die irren Lichtreflexe der Spiegelkugel, die über der Tanzfläche rotiert. Die Damen machen immer schlimmere Stielaugen. Glatzköpfe gelten ja als besonders brünstig und potent, und Herr Schmidt hat nie versucht, dieses Gerücht zu zerstreuen. Als sich zwei der Damen schwerfällig erheben, scheint der Boden unter uns zu wanken. Sie haben allerdings nur die Absicht, miteinander zu tanzen. Das ist ihr gutes Recht, aber es muß auch erlaubt sein, sich bei diesem Anblick an die Fusion von Großkonzernen erinnert zu fühlen, die von einfallslosen Journalisten immer wieder gerne als "Elefantenhochzeit" tituliert wird.
Es bricht einem das Herz.
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Zum Schluß will Herr Schmidt unbedingt noch ins "Kairo", eine lärmige Musikkneipe, die vor vielen Jahren der Schauplatz seiner größten Demütigung als Lesereisender gewesen sei: kein Publikum, keine Stimmung, kein Geld, kein gar nichts, und außerdem habe ihn eine fiebrige Erkältung zu Boden geworfen. Das alles spielte sich ungefähr in der ausklingenden Altsteinzeit ab, als die Mädchen noch nicht für Popliteraten Schlange standen, obwohl die Popliteratur schon erfunden war. Herr Schmidt, ihr Erfinder, ging damals leer aus, und inzwischen ist er zu kaputt, zu faltig und zu alt, um als Popfritze noch was zu reißen.
Es ist mittlerweile zwei Uhr nachts. Im "Kairo" findet etwas statt, das sich "Karibische Nacht" nennt. Verkrachte Existenzen halten klebrige Gläser in der Hand, spülen Gin mit Speichel hinunter und brüllen aufeinander ein, weil die Musik so laut ist; aber haben sie sich auch etwas zu sagen? Sind sie nicht allesamt angetrunkene Würstchen und Mauerblümchen, die schon längst ins Bett gehörten? Die sich ganz tief "drinnen" vorm "Matratzenhorchdienst" in den eigenen "vier Wänden" fürchten, weil es dort so einsam ist, so asozial und unkaribisch?
Herr Schmidt läßt die tonnenschwere Schultertasche mit der Fotoausrüstung fallen, wälzt sich auf einen Barhocker, bestellt ein Mineralwasser, schmiegt seinen Oberleib in eine Bierpfütze auf dem Tresen und dämmert weg.
Auch die Pheromone haben Feierabend gemacht. Ich muß das Mineralwasser zahlen und anschließend Herrn Schmidt und seine Schultertasche huckepack ins Hotel tragen, vorüber an Begrünungskübeln, wo das Jungvolk hockt und lallt und sich übergibt.
In Göttingen ist außer Spesen nichts gewesen. Nun sollen es die Pheromone in Marburg bringen. Werden sie dort abermals versagen? Eine wissenschaftliche Sensation scheint sich anzubahnen…
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