Inhalt der Printausgabe

Januar 2001


Humor Kritik

(Seite 3 von 4)

Dummbilanz 2000
Vom finalen Daum-Dumm und manchen ebenbürtigen Konsorten (Beckenbauer!) abgesehen, war das erste des neuen "Millenniums" (Frank Schirrmacher; er aber legte wenigstens nochmals einiges zu an Unholdigkeit und Scheißebauerei) ein insgesamt mehr haushälterisches Jahr. Auf dem engeren Feld des Fußballs noch festhaltenswert sind immerhin die Prachtzitate von der EM: "Grundsätzlich würde ich versuchen zu erkennen, ob die subjektiv geäußerten Meinungen subjektiv sind oder objektiv. Wenn sie subjektiv sind, würde ich an meiner Linie festhalten. Wenn sie objektiv sind, würde ich überlegen und vielleicht objektive, subjektiv geäußerte Meinungen der Spieler in meine objektive einfließen lassen" (Sir Ribbeck). Und dasselbe etwas einfacher: "Man läßt das alles noch mal Paroli laufen" (Trainer "Ungeheuer" Hrubesch) - gemeint war vermutlich: die Revue paletti passieren lassen. Ergänzend L. Matthäus: "Ich kann mich nicht aufteilen. Vom Alter vielleicht, aber nicht von der Person" (14.6.). Bemerkenswerter aber noch zur neuen Fusion Fußball/Wortkunstwerk, daß den nordrhein-westfälischen Kulturstaatspreis diesmal die Lyrikerin Hilde Domin und der DFB-Boß Egidius Braun geteilt einstrichen.

Jedes Jahr dasselbe Leid: Jahr für Jahr verleiht die Wiesbadener Sprachgesellschaft ihren Strafpreis für das "Unwort des Jahres", ohne doch je enträtseln zu können noch zu wollen, ob sie dabei mehr eine besonders abscheuliche Wortkreation ehrt oder aber die üble = reaktionäre Gesinnung oder evtl. beides, das Ganze unter souveräner Mißachtung des Fakts, daß manche der prämierten Wörter ja uneigentlich-ironisch gemeint waren - so oder so trafen es die blinden Hühner von der Mainmündung auch diesmal wieder nicht: Sie ehrten weder die anschwellende Karriere des Wortes "tschüssing" noch des ubiquitären "im wahrsten Sinn des Wortes" noch auch die leicht absackende von "schrill" und "grell" noch der Bischöfin Jepsen abendländische Streitvokabelkreation der "Ichlinge" noch auch nur die Annonce des P&W-Sportstudios im Sinne von mehr "Bauch-, Beine-, Po-Fitness speziell für Damen" noch wenigstens den Neologismus der deutschen "Benzinwut", welche Bild ab Mai so emphatisch wochenlang wie unverzagt auskrähte - - was aber die hiermit schon gestreifte Welt des Sexes anbelangt, hier namentlich die nach unten offenbar restlos offene Welt des Alterstoren-Sexes, so prellte bei dessen Arschgeredisierung im April erst einmal Günter Pfitzmann mit seiner "Sex-Beichte" mit 76 sowie in der Bild-Zeitung vor ("Das ist ein Thema für mich"); dem schloß sich praktisch unterbruchslos an Hera Lind wg. ihrem "Neuen" aus Österreich ("Das setzt tolle Gefühle frei, gerade in letzter Zeit habe ich mich oft total Scheiße gefühlt"), von dem nur nicht recht klar wurde, ob er ein verkrachter Hotelier oder ein verkrachter Kellner oder trotz seines "Wahnsinnscharmes" (Hera) gar ein "Mitgiftjäger" ist, wie im Oktober die Drecksjournaille im Zuge eines schon unermeßlich scheußlichen Fotos des neuen gräuslichen Traumpaares erwitterte. Besser traf es da jedenfalls ab Sommer schon Rudolf ("Verteidigungsidentität") Scharping, dem die Neuvereinigung mit einer "knallharten" (Bild) Gräfin und Scheidungsanwältin sofort den Titel eines "Sexbombers der Nation" (AZ) einbrachte - wozu sich der "Lügengraf" (konkret) zur Bestätigung vor dem Pentagon auch gleich noch den Kopf am Autodach anhaute. Sogar die wie allzeit so auch im Jahr 2000 gutmenschentumsmäßig unangefochten führende Frankfurter Rundschau mußte da heimlich lachen: "Scharping verwundet" (9.6.). Vielleicht auch über den simultan schönsten Frauennamen des Jahres: Kristina Gräfin Borggreve-Pilati - demnächst -Scharping - ein wahrer Trippel-, ja Quadruppelwhopper!

Knapp dahinter: Birg. Schrowanges nagelneuer Sohn Laurin Luis Lanz, genannt Leitkultur-Lackmuspapier. Nicht schlecht löste seine Probleme auch der Ex-Präsident R. Herzog, dem im Juni die Frau an Krebs wegstarb; worauf die niederbayerische Karrierekachel in der SZ eine private Todesanzeige einrückte, in der sie sich von der Gattin als "Professor Dr. Roman Herzog" absentierte - eine "Wortschande" (Karl Kraus) der besonderen und schon unergründlichen Art, wahrlich, Sophokles wußte es, vieles Gewaltige lebt, nichts aber ist gewaltiger als der Mensch, der seinem Eheweib im Tod noch jenen Professor hinreibt, den eben es womöglich lebenslang bezweifelt hatte. Beim Krebstod von Diether Krebs Anfang des Jahres lag der Fall wieder anders. Leis, naja, komisch ist die Sache ja; wir wollen sie fortan drum nicht weiter erwähnen, ein bißchen hier aber schon.

Noch immer nicht an Krebs oder vielleicht doch gescheiter am Explodieren seines sehr unschönen Kopfes starb im Berichtszeitraum Reich-Ranicki; sondern ließ sich zum 80. im Fernseh feiern wie noch niemals ein Mensch vor ihm - und sein willfähriger DVA-Verlag schämte sich aber trotzdem nicht, sondern stellte vielmehr tatsächlich eine Annonce betr. der fünf immergleichen TV-Portraits (an einem Tag!) in die darüber aber auch nicht sonderlich genierte FAZ. Gut unterhielt uns zu Jahresbeginn, wie schon 1999, nochmals "Frau Raffzahn" (Bild immer wieder), bürgerlich Agnes Hürland-Büning, eine sogar für CDU/ CSU-Verhältnisse unvergleichliche Krautscheuche und Abstauberin und Einstreicherin noch weit jenseits der Niveauvorgaben von Kohl, Kiep und Prinz Casimir von Sayn-Wittgenstein; welcher letztere erstmals und fast gleichzeitig eindrucksvoll als Millionen-Hinundher-Schieber in Liechtenstein vorstellig wurde, um dann aber sofort auf Nimmerwiedersehen definitiv wieder den Orkus der öffentlichen Abortanlagen hinabzurauschen. Wogegen der beim Gaunern ertappte Kohl sich bald darauf kaprizierte, wegen seiner Verfolgung von wegen Schwarze Kassen sich mit den Opfern des Nationalsozialismus zu vergleichen. Und während die SPD-Gegenseite aus dem Munde ihres Parlamentspräsidenten Thierse so etwas Grottenmolchverheucheltes wie die "Entfeindungskultur" etablierte und sein ebenso fauligfahler Präsident Rau sich ab sofort egalweg für alles und jedes entschuldigte (Juden, Zwangsarbeiter, Menschen schlechthin), derweil entschuldigte sich Prinz Ernst August für sein Pieseln zuerst nicht, vor allem nicht beim türkischen Volk; dann aber bei jener Bild-Schrapnelle, welche er zuvor so glänzend beleidigt hatte ("Fotze" usw.), im Oktober leider doch. Dagegen log Roland Koch (CDU) erst einmal, was das Zeug hielt, versprach aber dann "brutalstmögliche Aufklärung" seiner eigenen Lügnereien.

Als Meister der Wortspielhölle stieß im Jahr d.H. 2000 überraschend erwähnter Rau nach vorne, indem er schon am 19.1. jene lobte, "die sich nicht in der Vergangenheit an Menschen vergangen haben"; und damit der taz "Rezzo schlauchte die Grünen" Paroli oder jedenfalls Paletti bot. Die Palme für Anspielungsartistik geht an das Deppenorgan Penthouse, das auch noch im Vorjahr die Unterzeile "Das Magazin, in dem alles steht" für originell hielt; das Arschgerede des Jahres veranstaltete die sich auch sonst dauerübernehmende Katja Riemann, die nämlich als 6723ste den Buñuel-Titel reaktivierte: "Wir machen die Männer zum Objekt der Begierde"; die Engländer aber holten, wie schon 1998 bei Dis Tod, den Titel als der Welt dümmstes Volk, indem sie den 100sten der sehr widerwärtigen Parasitin Queen Mum gleich an drei div. Terminen tagelang feierten - was eine enorme, ja erhabene "Dummdummheit" (Karl Kraus), was ein eklatantes, ja erhabenes Blödenpack! Den Sonderpreis Plemplem aber holte sich mit einem - von konkret scheint's sogar billigend zitierten - Superstatement der Sonderklasse der neue deutsche Zentralratsboß, der schon jetzt nach einem Amtsjahr ziemlich one and lonely Paul Spiegel: "Wir Juden müssen uns fragen, ob es richtig war, Deutschland einen Vertrauensvorschuß zu gewähren und uns hier niederzulassen." Genau.

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt