Inhalt der Printausgabe
Dezember 2001
Humorkritik
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Ritterromane, die es nicht gibt |
Fast mit Erschrecken mußte ich registrieren, daß das Komische in "Ritterzusammenhängen" (Wolf-Rüdiger Mühlmann) bisher sträflich unbeackert geblieben ist. Die grassierenden Mittelalterspektakel inkl. des penetranten Mantel-und-Degen-Metals (i. e. Heavy Metal mit Dudelsack- und Krummhornbewaffnung) wirken meist überhaupt nicht komisch, sondern im höchsten Grade albern und peinlich. Verständlich, daß ich geradezu aus dem Häuschen geraten bin, als ich zufällig Italo Calvinos Roman "Der Ritter, den es nicht gab" (dtv) aufstöberte. Die Idee ist ja hübsch: Eine leere Rüstung, deren luftähnlicher Inhalt sich als hyperkorrekter Ritter im Heer Karls des Großen ausgibt. Sein Name: "Agilulf Emo Bertrandino derer von Guildiverne und der anderen von Korbentratz und Sura, Ritter von Selimpia Citerior und Fez". Und genauso wenig, wie es Ritter zu Karls Zeiten gegeben hat, spielen in Calvinos Roman die Naturgesetze eine Rolle: "Verwirrung herrschte zu jener Zeit … noch in den Dingen dieser Welt. Damals konnte man nicht selten Namen, Gedanken, Formen und Institutionen finden, denen keine Wirklichkeit entsprach … Es war dies eine Epoche, in welcher der Wille und die beharrliche Bemühung, dazusein, … noch nicht mit ganzer Kraft eingesetzt wurden." Das klingt doch schon mal gut. Außerdem lese ich von Schimpfwortdolmetschern fürs Schlachtgetümmel gegen die Heiden und von einem Kaiser, der auf seinen Kriegszügen in jedem Dorf die Enten bewundert: "Oh, die Enten, seht diese Enten!", während seine Paladine scharenweise in den Schenken verschwinden. Aber sonst: Pustekuchen. Mein Pointendetektor bekam nach knapp der Hälfte der Seiten kaum noch zu tun. Und es kommt kein einziger Drache vor! Da hört der Spaß in Ritterromanen wahrlich auf. Hat man je von einem Ritterroman gehört, in dem keine Drachen bekämpft und besiegt werden? Der Drachenkampf, das weiß jedes Kind, ist die einzig wahre und wahrhaftige Gelegenheit, allwo Ritter mit ihrem "ganzen Arsenal an Heldenmut, Tapferkeit, Freiheitsliebe und Humor" (Michael Rensen) brillieren können. Zwar beten bei Calvino die Ritter vom heiligen Gral um die Wette, mannstolle Witwen werden überzeugend auf den Pfad der Tugend zurückgeführt, Jungfern vor schlimmen Unkeuschheiten bewahrt und die ewigfrechen Mohren in die Schranken gewiesen - doch was ist dies alles gegen einen spannenden und lustigen Drachenkampf? Hatte nicht schon der leider viel zu früh verstorbene Doyen der Drachenkampfexegese, Holger Sudau, in den mittlerweile legendären Beiträgen zur mitteleuropäischen Ritterromanforschung (Heft II/1996, S.14-762) dekretiert: "Ein Ritterroman ohne Drachenkampfexzesse kann gar nicht komisch sein und darf fortan nur noch ›Buch mit ritterromanähnlicher Handlung‹ genannt werden"? Tja. Pech für Italo Calvino. Andererseits: Wie soll ein Ritter, den es nicht gibt, gegen Drachen kämpfen? |
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