Inhalt der Printausgabe

Dezember 2000


Humorkritik
(Seite 6 von 7)

Erhardts Teamwork

Geschätzt hab ich das Schaffen Heinz Erhardts am Rande seit jeher, doch offenbar nicht genügend; denn so oft mir diese Eminenz wiederbegegnet, gleich, ob im Buch oder im Fernsehkasten, nimmt mein Respekt doch weiter und stetig zu. Gegenstand meiner neuerlichen Bewunderung sind weder speziell die Dicht- noch die Schauspielkünste Erhardts, die ja beide ansehnlichen Ruhm erlangten. Was mich heute staunen macht, ist vielmehr das einvernehmliche Teamwork zwischen dem Dichter und dem Komödianten gleichen Namens, genauer gesagt: die grenzenlos großzügige, gänzlich uneitle Dauerbereitschaft des ersteren, dem letzteren zuzuarbeiten und z.B. den regelmäßig miserablen Produktionen, in denen der Komödiant Erhardt mitwirkte, hübsche Verse bereitzustellen zu beliebiger Verwendung. Wieder und wieder müssen Erhardt-Strophen als Lückenbüßer oder Zusatzzünder herhalten, wenn das minderwertige Skript eines Klamaukfilmchens oder Tourneetheater-Sketchs nicht hinreichte; eine umso undankbarere Aufgabe, als zwischen Bühnenkollegen wie Bruce Low oder Chris Howland und Filmgrößen wie Giller und Kulenkampff jede bessere Pointe verpuffen mußte.
Erhardt läßt sich's nicht verdrießen und nutzt die kurzen Rezitations-Gelegenheiten im Film für Experimente. In "Willi wird das Kind schon schaukeln" (1971) etwa weicht sein Vortrag eines Achtzeilers von der Druckfassung ab: "Man sei beständig auf der Hut / und gehe niemals ohne diesen" lautet die Vorlage; "und gehe niemals ohne einen solchen", sprudelt's - unter Preisgabe des Endreims - aus einem sichtlich von den eigenen Versen gelangweilten Film-Willi.
Daß er fürs Publikum der allezeit arglose Scherzbold geblieben ist, hat Erhardt anscheinend nicht gestört. Was bemerkenswert erscheint angesichts jener Klagen, wie sie von heutigen etablierten Komikern erhoben werden: niemand nehme ihn mehr ernst, jammert etwa Hallervorden. Anders der Dichter Erhardt: Daß seine melancholischen und misanthropischen Anwandlungen, seine scharfsinnigen Skizzen sei's der Tierwelt, sei's des Kulturbetriebs nie recht beachtet wurden, darüber hat er sich nie beschwert.
Im Gegenteil, als ernster Dichter ist Erhardt sich selbst nicht geheuer gewesen - so kommt es, daß er sogar noch ein perfekt lebenserfahrenes Epigramm durch eine drangepappte Schlußpointe verhunzt: "Schön ist der Wein, bevor er getrunken, / schön ist das Schiff, bevor es gesunken, / schön ist der Herbst, solange noch Mai ist, / schön ist der Leutnant, solang er aus Blei ist. // Schön ist das Glück, wenn man es nur fände. / Schön ist dies Buch, denn gleich ist's zu Ende."
Für die letzten beiden Zeilen bekommt der Dichter volle hundert Punkte Abzug, der sel. Komiker Erhardt aber zumindest eine neue Pulle Roten spendiert. Prost!




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick