Inhalt der Printausgabe

Wer hat sich beraten?
Sozialdemokraten!

1 Jahr neue SPD

»Unsere Erneuerung wird umfassend sein – inhaltlich, organisatorisch, strukturell« – so hat es SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz vor einem guten Jahr angekündigt. Weitgehend verborgen von der Öffentlichkeit dreht der Reformmotor seither auf vollen Touren!

November 2017

Noch während der Koalitionsverhandlungen beginnt das Vordenker-Duo Martin Schulz und Kevin Kühnert mit der schwierigen Reformarbeit – Kühnert kauft bei McPaper Spiralblöcke und Notizzettel in verschiedenen Farben, Schulz führt derweil diplomatische Gespräche mit Ralf Stegner, der unbedingt mit ins Boot soll (»Der Ralf ist ein Guter!«, Schulz). Nach einem Missverständnis, den ersten ­Termin betreffend – mit »Mittwoch« hatte Kühnert den Mittwoch dieser, Schulz jedoch den der nächsten Woche gemeint – brechen beide in befreites Gelächter aus –, und verschieben das Treffen auf einen Termin im Dezember. »Allerdings vor Weihnachten!« betont Schulz selbstkritisch.

Dezember

Zum ersten Mal kommt in sozialdemokratischen Konsultationen ein modernes Hightech-Tool zum Einsatz: Doodle, die smarte Kalender­app, mit der man im Nu Termine für gemeinsame Treffen finden kann. Ein erstes Zwischenfazit: Kühnert hat im Dezember nur unter der Woche Zeit, Schulz möchte aber die Zeit zwischen den Wochenenden stärker für die Familie nutzen. Ein Kompromiss scheint aussichtslos, stundenlang fliegen erboste Chat-Nachrichten zwischen den beiden hin und her. Dann kommt dem Technologie-affinen Kühnert die ­rettende Idee: ein gemeinsames Word-Dokument, in das jeder seine Ideen reinschreiben kann – und das dann einfach hin- und hergemailt wird. Schulz schelmisch: »Werden wir jetzt zu den neuen Piraten?« 

Januar

Große Erleichterung Mitte Januar: Die GroKo ist unter Dach und Fach. »Das war nicht das, was ich mir gewünscht habe«, gibt ­Kühnert offen zu. »Aber gleichzeitig haben wir jetzt den Rücken frei, um die Erneuerung in der SPD ungestört vorantreiben zu können.« Auch Schulz ist vorsichtig optimistisch, verspricht aber zugleich, sich widerstandslos absägen zu lassen: »Die Reformen in der SPD werden ja doppelt so durchschlagend, wenn wir schon an der Regierung sind! Insofern lasse ich erst jetzt gerne erst mal andere ans Ruder. Bald weht hier eh ein anderer Wind! Wenn man ihn lässt.« 

Februar

Wenig später ein erster Durchbruch: Kevin Kühnert ist es gelungen, Parteichef Olaf Scholz zu überzeugen, in ausgewählten Bereichen der Parteiverwaltung die Software »Trello« einzusetzen – ein ­modernes Tool zur Gruppenarbeit und Projektplanung, mit dem beispielsweise die aktuellen Parteiaustritte sofort mit dem gesamten Präsidium geteilt werden können. »Das ist der Hit!« schreibt Martin Schulz an ­Kühnert. In der Juso-Zentrale erklingt noch bis tief in die Nacht der Evergreen »An Tagen wie diesen«.

März

Nachdem die Strukturen reformiert sind, geht es an die Inhalte. ­»Kühnikev«, wie sich Kühnert von der Internetjugend nennen lässt, hat auf Wikipedia etwas über Stalinismus gelesen. »Kann man doch mal probieren«, schreibt er Schulz über WhatsApp. »Warum eigentlich nicht!!« schreibt Schulz überraschend forsch zurück. Aus ­Fraktionsmitteln wird ein Probe-Gulag im Brandenburgischen eingerichtet, das zunächst mit Freiwilligen aus den Reihen der Jusos bestückt wird. »Wir schauen einfach mal, was passiert. Zeit zum ­Heulen haben wir hinterher«, sagt Schulz.

Juni

»Das ist doch scheiße«, ruft Schulz, als eine Trello-Nachricht ihn über die aktuellen Todeszahlen aus dem Gulag informiert. »Das hätte besser laufen können«, pflichtet ihm Kühnert bei. Die gewaltförmige Einführung des Sozialismus ist bei beiden jetzt erst mal vom Tisch. Kühnert hat jedoch bei Wikipedia noch eine ganze Liste von alter­nativen Modellen entdeckt, die ausprobiert werden können: Anarchosyndikalismus zum Beispiel. »Zu kompliziert, der Name«, sagt Schulz mit der langjährigen Erfahrung des Würselener Lokalpolitikers. »Die Leute wollen eine Revolution, die auf einen Bierdeckel passt.« ­Diesem Argument muss sich auch ein forscher Jungspund wie Kühnert geschlagen geben.

Juli

Der Jahrhundertsommer bremst die Erneuerungsbemühungen des Thinktanks, beide brüten unter nassen Handtüchern. Nach Wochen sengenden Stillstands stöhnt Kühnert auf: »Wie wäre es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für die Menschen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben?« – »Na gut«, schreit Schulz gequält. Mit EU-Geld wird ein Seniorenheim zum Testlabor umgerüstet: Unter klinischer Schutzatmosphäre simuliert es ein Paralleluniversum, in dem es die SPD nie gegeben hat. Als die neuberechnete Lebens­erwartung der Senioren die Hundertermarke durchschlägt, bricht das Präsidium das Experiment als »unbezahlbar« ab.

August

Nach nächtelangen Verhandlungen haben sich Kühnert und Schulz durchgesetzt: Olaf Scholz hat die Fortführung des Modellprojekts »Erneuerung der SPD« unter Auflagen genehmigt. Die Nerven liegen dennoch blank: In vier Wochen sollen erste Ergebnisse her, sonst dreht Scholz den Saft ab! Nach einem sechzehnstündigen Brainstorming-Marathon verliert Schulz die Fassung: »Wie wäre es, wenn ­Unternehmen einfach wieder Steuern zahlen«, kreischt er sinnlos. Angewidert wendet sich Kühnert von dem einstmaligen Freund ab, den die Erschöpfung in den Wahnsinn getrieben hat. Er weiss: Er kann es nur mehr allein schaffen.

September

Anfang September wirft Kühnert Parteichef Scholz lässig ein ­Thesen­papier auf den Schreibtisch. »Agenda 2025« steht frech oben drauf. 

Die Thesen:

  1. »Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe.«
    W. Benjamin, SPD-Mitglied seit 1922. 
  2. Wir wollen eine Gesellschaft, die für die Mehrheit der Leute okay geht. 
  3. Wichtige Dinge dürfen nicht länger tabuisiert werden. 

Scholz blickt Kühnert einen Moment kritisch an – und stempelt die Vorlage dann ab. Damit wird sie nun offiziell Mitglied der SPD – sofern der Beitrag rechtzeitig überwiesen wird!

Oktober

In einem Interview stellt Andrea Nahles das mittlerweile voll entwickelte Programm »Sozialstaat 2025« verdutzten Journalisten der »Zeit« vor. Natürlich fehlt die Radikalität vieler Thesen Kühnerts, die jetzt deutlich massenkompatibler daherkommen – aber der Zug ist in Bewegung gesetzt! Das Opfer, das der Martin für die Partei gebracht hat, war nicht umsonst, denkt Kühnert – und setzt mit einem letzten, schicksalsschweren Klick die Trello-Karte »Erneuerung« auf »abgeschlossen«.

Leo Fischer

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick