Inhalt der Printausgabe

Der Waldkauz

Die Kamera liebt ihn, doch er macht sich rar. Das macht ihn nur noch begehrter. Wenn er nicht mit »Spiegel«-Redakteuren über Stock und Stein durch deutsche Wälder stampft, sein Deutschlandfähnchen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausrollt oder in der Karaoke-Bar mit den Parteigenossen alte Heino-Klassiker schmettert, ist er scheu wie ein süßes nationalsozialistisches Reh.
Ein Tag mit dem Shootingstar der neuen Rechten

Es ist sieben Uhr morgens, Nebelschwaden hängen über dem Laubboden. Wie jeder seltene Vogel wohnt Höcke im Wald, gut versteckt, und wagt sich nur dann aus seinem Nest, einem alten Forsthaus in Bornhagen, Thüringen, wenn es notwendig ist. Für die Interessen des deutschen Volkes. Seine Agenda: Reden dürfen, wie einem der Schnabel gewachsen ist, auch wenn dieser naturgemäß krumm und schief nach rechts lugt. So viel Toleranz muss sein. »Guten Tag, Höcke mein Name!« begrüßt er uns eloquent und geleitet uns sicher an den Bärenfallen vorbei zu seinem Haus. »Kleine Sicherheitsmaßnahme!« sagt er. Drinnen im rustikalen Wohnzimmer prasselt ein Feuer im Kamin, ein Bild von Höcke in Jägermontur hängt darüber, auf dem Plasmabildschirm an der Wand ist das Playstationspiel »Red Dead Redemption« im Pausemodus. In 1080p! Höcke lässt sich von Widersprüchen nicht aufhalten. »Wir sind angetreten, um sie alle auszumerzen!« sagt er. »Die Widersprüche?« haken wir nach. »Ja, die auch«, antwortet er.

»Das ist ein Strauch!« Höcke beeindruckt mit dem uralten Wissen der Ahnen

Höcke ist der Strahlemann unter den Kellerkindern der AfD. Er hat zwar ein soldatisches, irgendwie auch leicht totes Äußeres, über das aber doch das ein oder andere Mal urplötzlich ein bübisches Lächeln huscht. Er grölt in Mikrofone auf der Wartburg und wünscht sich ein Leben wie im Heimatfilm. Er liebt die Natur, aber hasst die Menschen. Es ist diese Mischung, die ihn ausmacht. Immer irgendwo zwischen Lamm und Wolf, Wasser und Feuer, Hansi Hinterseer und Charles Manson. Höcke nimmt uns den Mantel ab, und zum Aufwärmen gibt es erst einmal eine Runde Kräuterschnaps, homebrewed und alkoholfrei, wie er betont. »Prost!« sagen wir. »Sieg Heil!« sagt er und prostet uns zu.

Nach einer zweiten und dritten Runde kommt er langsam ins Reden. Über damals. Das habe ihm ja schon einen ordentlichen Schlag verpasst, sagt er, und wir lauschen gespannt. Ja, es sei wie ein innerer Alliiertenangriff gewesen, alles in ihm lag in Trümmern, als man ihm vor ein paar Jahren die Lehrbefugnis entzogen hatte. Man weiß es aus vielen Interviews, Höcke ist ein Mensch der Bildung. »Den Intellektuellen« nennen ihn seine Kameraden oft spöttisch. Er ist belesen, so heißt es. Zitiert Goethe und Goebbels aus der hohlen Hand, ist immer auf dem Laufenden. Wie er das macht, blieb lange ein Geheimnis. Höcke hat alle Systemmedien deabonniert, hält das deutsche Bildungssystem heute für komplett versifft und kriegt im Wald kein LTE. »Alle Fakten, die ich für meine politische Arbeit brauche, erfahre ich auch so, nebenbei«, erklärt er. »Oder ich erfinde mir einfach welche.« Wir nicken und lauschen weiter. Schon früh kam er mit ihr, der Bildung, in Kontakt. »Bereits in der ersten Klasse«, sagt er. Danach ging es schnurstracks weiter. Zweite Klasse, dritte Klasse, Höcke besteht alles, wird ein ums andere Mal versetzt. Er studiert Völkerkunde, Leibesertüchtigung und experimentelle Marschmusik, wird am Ende sogar selbst Lehrer.

Enttäuschung: Leider ist nur eine Wildsau in die Journalistenfalle getappt

»Lehrer, das ist ein Traumberuf, wissen Sie?« sagt er gequält, rauft sich die Haare, und man leidet beinahe mit ihm. »Man kann jungen Menschen Vorbild sein, ihr Rückgrat in die richtige Richtung brechen und hat sechs Wochen Sommerferien! SECHS WOCHEN!« betont er noch einmal laut und schaut uns tief in die Augen, Minuten vergehen, ohne ein Blinzeln von ihm. Ein wenig Spucke rinnt bereits aus seinem Mundwinkel. Mit dem Handrücken wischt er sie ab. Dann lächelt er, als habe er einen Witz gemacht. Wir lachen betreten mit. Haha! »Sie wollen mich also kennenlernen?« sagte Höcke. Wir nicken.

»Gut. GUUUT!« sagt er, wirft einen Lodenmantel über und winkt uns aus dem Haus. Ein wenig bekommen wir es mit der Angst zu tun. »Sie nehmen Gentleman«, sagt er und deutet auf einen lahmen Gaul hinter dem Haus, während er sich auf sein bereits gesatteltes Rassepferd schwingt. Man reitet gemeinsam gen Sonnenuntergang. »Das ist ein ganz normaler Tag in Ihrem Leben?« vergewissern wir uns. »Aber sicher! Ja ja!« sagt Höcke und gibt seinem Pferd die Sporen.

Das tue er ständig, um mal so richtig abzuschalten vom Politikeralltag. »Zum Runterkommen gehe ich ausnahmslos in die Natur!« sagt Höcke schwärmerisch. »Das Geben und Nehmen, die ewigen Gesetze des Lebens, die Ordnung im totalen Chaos, das imponiert mir. Es gibt für mich nichts Schöneres, als zu beobachten, wie ein von Natur aus überlegener Fuchs mit List und Stärke eine dumme unschuldige Gans zerfetzt. Und dann den blutenden Kadaver hin und her schleudert. Wissen Sie?« Er wackelt mit dem Kopf hin und her, knurrt und bellt, um es uns zu veranschaulichen. Da ist er wieder, der geborene Lehrer. »Brrr. Wuff. RRRR. KRKRRK aaaa ffff, fauch!« macht Höcke. »Baaaah, rrmpf, krrkkk, zzzzk, wuff, arggh! Verstehen Sie?« fragt er forsch. Wir nicken. »So macht der Fuchs! Aus purer Lust und Langeweile« sagt er. »Einfach weil er es kann! Großartig, nicht wahr? Und das steckt in uns allen, wir haben es nur verlernt.« Wieder bellt er. Beeindruckend, er ist eins mit der Natur.

Heimatschutz konsequent: Höckes Pferde trinken Biodiesel

Wir reiten vorbei an einer Burg, wir meinen, eine Träne in Höckes Augenwinkel zu sehen. Freude über diese seine Heimat. Aus dem Glück heraus kneift er sein Pferd in den Hals, das daraufhin nervös ausschlägt, ihn fast abwirft, während er kichert. Aber die Freude, sie muss ja irgendwohin. »Gibt es das irgendwo anders auf der Welt?« fragt uns Höcke strahlend und deutet in die Landschaft. »Natürlich …«, geben wir ihm zu verstehen, aber da ist er schon wieder auf und davon und wir müssen zusehen, ihn nicht zu verlieren. Nach eineinhalb Stunden sind wir überwiegend sinnlos im Kreis geritten und kommen zum eigentlich nur unweit seines Wohnhauses gelegenen Wirtshaus. Schon von weitem begrüßt man Höcke. »Güden Toch!« sagt ein älterer Herr und zieht den Hut. Höcke ist bekannt wie ein brauner Hund, wird geschätzt in seiner Wahlheimat. Die Wirtin winkt, deutet einladend auf den runden Stammplatz im Eck. Höcke nickt freundlich, und wir setzen uns.

Wie er auf Bornhagen gekommen ist, wollen wir wissen. »Das war ganz ulkig!« sagt er. »Ich stand wie jeden Morgen mit den Kollegen aus der Partei im Bunker vor dem Tisch mit der Europakarte, wo wir die künftigen Schritte geplant haben …«, er unterbricht sich, »… aber das würde jetzt zu weit führen … Jedenfalls ist mir da ein Schluck von meinem Bergkräutertee auf dieses schöne Fleckchen Erde ins Auge gesprungen. Und auch aus den voran -gegangenen Gesprächen mit den Kollegen war mir schnell klar, das ist eines der wenigen Fleckchen hier, wo man demnächst noch in Frieden leben kann.«

»Bitte? Was haben Sie denn da geplant?« wollen wir wissen.

»Ach, kommen Sie …«, winkt Höcke ab. »Journalisten … Ich sagte ja, das würde jetzt zu weit führen. Stoßen wir doch lieber an!«

Es wird minütlich lauter, immer wieder kommen Gäste ins Lokal. Alle werfen sie die Arme zum Himmel, wenn sie den scheuen Höcke im Eck sitzen sehen. »Höcke, Höcke!« werden Rufe laut. »Höcke, Höcke!«

Und: »Komm schon, Björni!«

»Na gut, na guuut!« ruft Höcke nun in den Raum, entert die Bühne und singt los. Heino. Höcke ist textsicher.

»Denn im Wald da sind die Räuber,
halli hallo die Räuber,
die machen gern Musik.«

Man tanzt und lacht. Wir haben genug Material und beschließen zu gehen, der Wirt lässt uns auf Höckes Namen anschreiben.

»Hey! Ihr! Bleibt doch!« ruft Höcke uns noch nach. »Ich bin gleich bei euch. Dann erzähle ich euch eine Geschichte über Hitler, die ihr garantiert noch nicht kennt!« Doch da sind wir bereits draußen und fragen uns, ob wir ihn denn nun endlich zu Gesicht bekommen haben, den wahren, echten Höcke. Bis zur Gewissheit werden wohl noch viele Sätze über ihn geschrieben und viele TV-Einladungen versendet werden müssen. Aber warum auch nicht. Dieser Mann ist immer ein Porträt wert!

Geimpft, entwurmt und stubenrein – und auch Höckes Hund erfreut sich bester Gesundheit

Fabian Lichter

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick