Inhalt der Printausgabe

#miomiogate

Wie TITANIC mit der »Bild« im Februar eine unglaubliche Geschichte über Jusos, Russen und einen anonymen Informanten recherchierte.

Übersicht: Wer ist wer bei #miomiogate?

  • Julian Reichelt: Noch-Chefredakteur Print/Online/gesamt der »Bild«
  • Redakteur P.: arbeitet im »Bild«-Politikressort
  • Kevin Kühnert: Juso-Vorsitzender (SPD)
  • Juri: fiktive Person, Hacker aus St. Petersburg
  • »J.«: fiktive Person mit realem Vorbild, Juso-Mitglied aus Münster, Vermittler zwischen Kühnert und Juri
  • Christopher: fiktive Person, Leaker aus den Reihen der Leipziger Jusos
  • @DaxWerner: Twitterstar/TITANIC-Autor, der unter Pseudonym arbeitet

 

Das Protokoll eines Polit-Journo-Thrillers:

6. FEBRUAR 2018, DIENSTAG

Um 21:20 Uhr schreibt der Twitteruser und TITANIC-Autor @DaxWerner eine unverschlüsselte Direktnachricht an Moritz Hürtgen: »thinkpiece: der bild emails anbieten die russenconnection von kühnert belegen sollen«. Hürtgen ist als anständiger Redakteur längst angetrunken im Feierabend, rafft sich aber noch zu einer Antwort auf: »Laß uns da morgen mal telefonieren.« Beide ahnen nicht, daß gerade die Geschichte des Jahres unaufhaltsam ins Rollen gekommen ist.

23:21 Uhr. Auf Bild.de geht ein Kommentar des Chefredakteurs Julian Reichelt (37) online. »Demokratie beschädigt«, schreibt Reichelt, der erst seit wenigen Tagen die absolute Nr. 1 ist, als neuer Diekmann also über Print- und Onlineausgabe thront. Reichelt ist wütend über den Mitgliederentscheid der SPD, den er als Sturmfeuerzeug der Demokratie seit Wochen als unanständig anklagt. Im neuen Kommentar schäumt der junge »Bild«-Boß fast über, weil in der SPD »auch Mitglieder ohne deutschen Paß« über die Beteiligung an einer neuen Großen Koalition abstimmen dürfen. Besonders über einen Sozialdemokraten ärgert sich Reichelt: »Kevin Kühnert, Vorsitzender der Jusos, macht sich das auch noch zunutze und mobilisiert, wen immer er in seinem Kampf gegen eine Regierungsbildung mobilisieren kann.« Diesem Kühnert scheint Reichelt alles zuzutrauen …

7. FEBRUAR 2018, MITTWOCH

13:36 Uhr. Das wichtigste Arbeitswerkzeug Dax Werners (ab hier nur noch Dax genannt), sein Smartphone, klingelt. Hürtgen ist dran, er möchte über die »phantastische Russenidee von gestern« reden. Schnell stimmt man überein, daß ein Fake-Mailwechsel erstellt werden muß, in dem Kühnert sich mit einem russischen Kontaktmann, der zwar nicht Ivan, aber wenigstens Juri heißen könnte, über russische Hilfe für seine #NoGroko-Kampagne auf Facebook und Twitter abstimmt. Eine Troll-Kampagne gegen Martin Schulz (damals noch Parteivorsitzender der SPD), Social-Bots für den #NoGroko-Hashtag, aus Rußland bezahlte Juso-Ads auf Facebook – alles dabei! Juri soll aus St. Petersburg den Kontakt zu Kühnert suchen und vorher über einen Mittelsmann bei den Jusos, »J« aus Münster, an den Juso-Chef vermittelt worden sein. Für »J« haben sich Hürtgen und Dax durch die Juso-Führungsriege geklickt. TITANIC-Leserrätsel: Welches Juso-Mitglied stand da wohl Modell?

9. FEBRUAR 2018, FREITAG

Der brisante Mailwechsel ist mittags fertiggestellt. Dax und Hürtgen haben ihn in den vergangenen 48 Stunden nebenbei im Rollenspiel geschrieben. Ersterer spielte Juri, letzterer schlüpfte in die unverbrauchte Haut Kühnerts. Jetzt steht ein fingierter Schriftverkehr (auf englisch), der sich am besten als wahnsinniger Mix aus »Tatort«, James Bond und Hipster-Telenovela beschreiben läßt – das Codewort, welches Kühnert zu Beginn des Austauschs bei Juri erfragt, um dessen Identität zu verifizieren, ist das Lieblingsgetränk des Kontaktmannes »J«: MioMio Mate Ginger. Offenlegung: Auch Hürtgen kauft den prickelnden Softdrink ab und zu bei Rewe.

Gegen 12 Uhr mittags kommt Alexander Golz ins Spiel. Er ist TITANIC-Webmaster, Technik-Hexer und Hobby-Hacker und weiß als ehem. Magdeburger zudem genau, wie der Russe denkt. Golz tauscht im Mailprotokoll die E-Mail-Adressen aus und paßt die Zeitstempel so an, daß auf den ersten Blick kevin.kuehnert@jusos.de einige Tage lang im Februar Mailverkehr mit j3445@protonmail.com hatte. Schließlich wird noch eine E-Mail aufgetan, die ein echtes SPD-Mitglied in den letzten Monaten verschickt hatte und der Golz sog. »Headerdaten« entnehmen kann. Am Abend, als Kevin Kühnert gerade im Zuge seiner #NoGroko-Tour in Leipzig spricht, ist endlich alles fertig.

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12. FEBRUAR 2018, MONTAG

Heute soll geleakt werden. Und zwar über das »Bild«-Portal www.wissen-sie-mehr.de, auf dem das Springer-Blatt anonymen Informanten die Möglichkeit gibt, brisantes Beweismaterial, Busenblitzer oder Gafferfotos mit Unfallopfern vertraulich in Redakteurshände hochzuladen. Doch wer leakt diese Geschichte überhaupt als wohlmeinender Mittelsmann zwischen »Bild« und TITANIC? Dax und Hürtgen müssen für eine glaubhafte Story noch einmal alles hervorkramen, was sie aus schlechten Krimis gelernt haben. So entsteht der anonyme Informant »Christopher«. Christopher ist ein in Leipzig wohnhafter Juso, der über Gerüchte von Kühnerts Rußlandkontakten Wind bekam. Und weil Christopher ein so aufrechter Demokrat wie Julian Reichelt ist, sorgen ihn die undemokratischen Umtriebe Kühnerts. Also verschafft er sich am Freitag, den 9.2. in Leipzig während Kühnerts Rede Zugang zu dessen Laptop und leitet sich den belastenden Mailverkehr an eine eigene Gmx-Adresse weiter. Nach einem Wochenende Hin-und-her-überlegen beschließt Christopher am Montag, daß die sensiblen Informationen nur bei der »Bild« gut aufgehoben sind.

Hürtgen befindet zufrieden, daß das »alles viel zu wahnsinnig« sei, Dax stimmt zu und hat daher »ein bißchen das Gefühl, daß das klappt«. Golz lädt am Nachmittag in der Rolle des anonymen Informanten Christopher den gefakten Schriftverkehr als .eml-Datei hoch und fügt ein Begleitschreiben an die »Bild«-Redaktion bei:

»Ich möchte meiner Partei und den Jusos nicht schaden, durch diesen Kontakt sehe ich jedoch die Integrität der Sozialdemokratie beschädigt. Kevin realisiert ohnehin nicht mehr, daß er sich mit der NoGroko-Kampagne in etwas reingesteigert hat. Da der Ton in der Partei in letzter Zeit ein vergifteter ist, beschloß ich am Wochenende, den E-Mail-Austausch Ihrer Redaktion zur Verfügung zu stellen. Bitte gehen Sie verantwortungsbewußt damit um.«

14. FEBRUAR 2018, MITTWOCH

Es passiert – nichts. Hürtgen besucht seit Montag stündlich öfter Bild.de als in seinem gesamten Leben zuvor, Dax spekuliert, ob man bei »Bild« das Postfach für anonyme Informanten überhaupt leere. Nachdem man die Idee verworfen hat, den Mailwechsel den Redaktionen von »Stern« oder »Focus« anzubieten, die den Inhalt der Mails wohl gar nicht erst begreifen könnten, wird beschlossen, es direkt bei einem »Bild«-Redakteur aus dem Politikressort zu versuchen. Schnell fällt die Wahl auf den jungen Redakteur P.

P. wird am frühen Nachmittag auf Twitter mit einem schnell eingerichteten Fake-Account (@deepred2k18) kontaktiert und nach seiner E-Mail-Adresse gefragt. Man habe delikate Informationen über Kevin Kühnert, die man gerne weitergeben möchte. Der »Bild«-Redakteur antwortet sofort und gibt hilfsbereit seine Kontaktdaten durch. Hürtgen schlüpft in die Rolle des Informanten Christopher, vom Account mailme43297@gmx.net schreibt er um 14:45 Uhr an P.

E-postwendend antwortet der Springer-Mann:

Offensichtlich wurde die beim Informantenportal hochgeladene Datei tatsächlich nicht an die Politikredaktion weitergegeben. Die Frage ist: Aus Nachlässigkeit oder im Gegenteil aus journalistischer Sorgfalt? Wurde der Fake sofort durchschaut und deshalb nicht bearbeitet? Nachdem Hürtgen in einer weiteren Mail an P. dennoch selbstbewußt und freundlich den explosiven Inhalt von Kühnerts Mailverkehr umreißt, antwortet der »Bild«-Redakteur angetan:

Ja, es ist möglich. Sofort werden zwei Screenshots geschickt, die P. kurz auf sich wirken läßt, um dann in einer weiteren Mail auch die .eml-Datei anzufordern. Hürtgen schickt erst versehentlich eine fehlerhafte Datei, doch beim zweiten Versuch klappt alles, und der »Bild«-Redakteur schaltet eine Investigativstufe hoch:

Auch das ist natürlich drin! Hürtgen handelt in einer weiteren Mail aus, auch bei einem Telefonat anonym bleiben zu dürfen, läßt sich P.s Durchwahl schicken und klingelt mit unterdrückter Nummer durch. Der junge »Bild«-Redakteur bietet seinem Informanten, dessen Namen (Christopher) er noch nicht kennt, das Du an und läßt sich dann noch einmal genau erzählen, wie der Leaker überhaupt an Kühnerts Mails gekommen ist. Danach möchte P. wissen, ob Kühnert immer so sorglos mit seinen Mails umgehe. Hürtgen verliert in seiner noch anonymen Christopher-Rolle nicht die Orientierung und pflichtet bei, daß Kühnerts Verhalten in dieser Sache »nahezu fahrlässig« sei. Eine Erklärung dafür habe er allerdings nicht (»Ich kenne Kühnert kaum!«), und auch P.s Vermutung hinsichtlich der Identität des Informanten »J« möchte er weder bestätigen noch verneinen (»Dazu möchte ich nicht mehr sagen ...«). Schließlich bedankt sich P. für die Informationen und garantiert, den Fall noch am Abend mit seinem Chefredakteur zu besprechen. All dies sei sehr interessant, aber im Prinzip könne ja jeder so einen Mailverlauf basteln, er melde sich morgen wieder per Mail. Hürtgen legt auf, muß kurz überlegen, ob er nun Juri, Kühnert, Christopher oder die völlige Anonymität ist, besinnt sich dann aber, freut sich über die fruchtbare Kooperation mit der »Bild«, ruft Dax an und erstattet Bericht.

15. FEBRUAR 2018, DONNERSTAG

Der Tag beginnt um 12:28 Uhr mit einer höflichen Mail vom »Bild«-Redakteur an seinen anonymen Informanten: »Könnten Sie mich in 15 Minuten noch mal anrufen? Vielen Dank.« Hürtgen schaltet sein Handy wieder auf unterdrückte Rufnummer und wählt P.s Nummer. Dieser berichtet von einem »kleinen Problem«, man habe die Jusos konfrontiert und ein Dementi erhalten. Auch weil Kühnert über die Adresse kevin.kuehnert@jusos.de nur Mails empfangen könne, aber eben keine schreiben. Hürtgen gibt als Informant daraufhin zu bedenken, daß er kein Fachmann sei, daß es die Aufgabe der »Bild«-Journalisten sei, technische Fragen zu prüfen. Das leuchtet P. sofort ein. Er möchte jetzt aber gerne wissen, mit wem er es zu tun hat. Wenn der Informant seine Identität preisgebe, könne man die Geschichte in der Redaktion besser prüfen. P. verspricht, alle Informationen vertraulich zu behandeln. Doch Hürtgen lehnt in Christophers und seinem eigenen Interesse ab und spricht lieber noch etwas über seine Motivation als Leaker: Er wolle »im Chaos, das die SPD derzeit abbildet, alles, wirklich alles schonungslos aufdecken«. P. verspricht, sich zu melden, und legt auf.

Ein schlüssiges Dementi der Jusos. War es das? Dax und Hürtgen wollen nach kurzer Besprechung nicht aufgeben, zu vielversprechend ist die Kampagne inzwischen für alle Beteiligten. Sie lassen den Informanten eine weitere aufschlußreiche Mail an Redakteur P. schicken. Als Beweis für seine Vertrauenswürdigkeit nennt Hürtgen erstmals seinen Namen »Christopher« und gibt eine Handynummer (mit Zahlendreher) an. Außerdem wird angemerkt, daß die @jusos.de-Ausrede der Jusos wohl eine Nebelkerze sei, in vielen Mailprogrammen könne man den Absender problemlos manipulieren. Man weiß es ja aus eigener Erfahrung. P. scheint sich über den neuen Input zu freuen und antwortet sofort:

Why not? Hürtgen sagt zu, morgen, am Freitag, als Christopher nach Berlin zu kommen, und fragt nach den Konditionen eines Treffens, die P. kurz später nennt:

Ein Treffen im Axel-Springer-Haus, einverstanden! Endlich sieht man sich Face-to-face und kann die letzten Details des gemeinsamen Jahrhundertscoops besprechen. Doch als Christopher ausweisen kann und will sich Hürtgen nicht, was P. im weiteren Mailwechsel akzeptiert und einem anonymen Treffen zustimmt. Hürtgen verspricht, am Freitag um 16:30 Uhr vor Ort zu sein.

Dax rät dazu, sich vor dem Treffen eine falsche Brille zuzulegen. Nachdem dies bei »T€DI« für drei Euro erledigt ist, geht Hürtgen zeitig mit dem Gedanken zu Bett, daß morgen ein früher Zug nach Berlin erwischt werden muß und aus diesem ganzen Schwachsinn am Ende vielleicht doch noch etwas werden könnte. Etwas später, um genau 23:11 Uhr, geht hinter der »Bild+«-Bezahlschranke auf Bild.de ein großer Aufmacherartikel online …

16. FEBRUAR 2018, FREITAG

7:30 Uhr – Hürtgen ist gerade auf dem Weg zum Bahnhof, als ihn ein Kurztext von Dax erreicht: »Moin.« Erst eine weitere Nachricht klärt über die Sensation auf: »Wir haben es geschafft.

Aufmacher auf der 1!« Der TITANIC-Redakteur hechtet ungläubig in eine Tankstelle und kauft fünf Ausgaben der »Bild« auf, um seinen Teil für einen Kioskerfolg zu tun. Tatsache: Der irre Kühnert-Juri-Mailverkehr hat es auf die Titelseite der größten deutschen Tageszeitung geschafft.

Auf Seite 2 folgt unter der gigantischen Schlagzeile »SPD will Strafanzeige wegen E-Mail erstatten« eine Zusammenfassung des Inhalts der Juri-Kühnert-Kommunikation. Hürtgen versteht gar nichts mehr, auch Dax und alle Redaktionskollegen bei TITANIC sind ratlos. Wollte P. nicht erst seinen Informanten Christopher treffen, bevor er die Top-Story des Jahres verantworten kann? Was ist in den letzten vierzehn, fünfzehn Stunden im Axel-Springer-Haus passiert? Egal, die Euphorie über die Superstory ist in Frankfurt so groß wie bei Reichelt, P. und Co. Die Fahrt nach Berlin wird trotzdem vorerst abgeblasen, bei TITANIC will man abwarten, was sich im Lauf des Tages tut.

Zunächst passiert, was passieren muß: Die exklusive und aufwendig recherchierte »Bild«-Story wird von zahlreichen clickgeilen deutschen Medien hinter der Paywall hervorgezerrt, aus der Printausgabe herausgezogen, weiterverbreitet und – verrissen! Ob Tagesschau, »Zeit« oder die Investigativplattform »RTL next«: Alle erheben sich über die »Bild«-Geschichte, sprechen von schlechtem Handwerk, von einem »offensichtlichen Fake«, von schmierigem Kampagnenjournalismus und und und. Kann denn – vom Fake-Verdacht abgesehen – keiner sehen, was für eine Kracherstory der sich um das Erfrischungsgetränk MioMio Mate Ginger drehende Mailwechsel abgibt? Wie viel Arbeit und Manpower gleich zwei Redaktionen hier investiert haben? Außerdem lautete der letzte Satz im »Bild«-Artikel journalistisch lupenrein: »Für die Echtheit der E-Mails gibt es keinen Beweis« – na also. Wir brauchen eine Neiddebatte in der deutschen Presselandschaft!

Um 12:58 Uhr geht auf Christophers Mail-Account endlich die erlösende Nachricht von P. ein: »Kannst du mich bitte mal anrufen?« Ein Glück, die »Bild« lebt noch. Als P. abnimmt, will der falsche Christopher zunächst wissen, warum die Story jetzt schon vor dem vereinbarten Treffen gebracht wurde: »Ich fühle mich bei aller Freude über unseren Coup etwas überrumpelt, gestern sprachst du von Sorgfalt.« P. versteht den Ärger des Informanten (»Aber das ist doch das, was du wolltest«) und erklärt, daß man den Artikel bringen mußte, weil ein Sprecher der SPD der »Bild« am späten Nachmittag des Vortages gesteckt hätte, daß die Partei eine Anzeige gegen Unbekannt prüfe. Und in diesem Moment sei es eben eine Story gewesen, die man bringen mußte. Auf Seite 1. Genau, so muß es sein! Doch P. ist noch nicht fertig: »Jetzt muß es natürlich weitergehen.« Er will seinen Informanten noch immer in Berlin treffen. Doch Hürtgen, der sich in seiner Christopherhaut heute vor Überwältigung nicht ganz wohl fühlt, schlägt vor, den »Bild«-Leuten den Zugang zum Gmx-Postfach des Leakers zu ermöglichen, statt den von Kühnert weitergeleiteten Mailwechsel vor Ort auf dem Handy zu präsentieren. P. willigt ein und erfährt das knacksichere Paßwort: jusoleaks123. Zum Glück hatte TITANIC-Digitalexperte Golz den Mailverlauf des Juso-Vorsitzenden von vornherein auch authentisch im Gmx-Eingang Christophers plaziert. P. ist zufrieden, verspricht, das Postfach von Experten prüfen zu lassen und sich danach zu melden.

Einige Zeit verstreicht, die Onlinemedien wie der überkritische »Bildblog« weiter dazu nutzen, bösartig auf die »Bild« und damit auch TITANIC zu hauen, dann meldet sich P. wieder mit der Bitte um Rückruf. Im Gespräch bedankt sich der Politredakteur für den Zugang zum Mailaccount, man habe alles geprüft. Wichtig sei jetzt die »menschliche Komponente«, man brauche in der Berliner Redaktion nun »ein Gesicht, das die Geschichte erzählt«, sonst könne man nur schwer weitermachen. Wie er, P. es sehe, gebe es drei Möglichkeiten: a) Christopher sei »ein Irrer mit irgendeiner Motivation«; b) alles sei wahr; c) Christopher sei von Dritten manipuliert und gesteuert. Dies könne man erst nach einem Treffen besser einschätzen. Hürtgen versteht die Bedenken seines Kampagnenpartners und denkt, daß es wohl eine Mischung aus a) und b) ist. Er teilt mit, daß er bis morgen entscheiden will, ob er am Montag zu einem Treffen nach Berlin kommt.

17. FEBRUAR 2018, SAMSTAG

Ein Treffen in Berlin wird vereinbart: Hürtgen sagt Christophers Kommen für Montagnachmittag zu, P. liefert Informationen, wie der Informant ohne Ausweiskontrolle durch die Sicherheitsschleuse des Axel-Springer-Hochhauses kommt. Das gegenseitige Vertrauen erreicht einen neuen Höhepunkt. Später am Tag entwerfen Dax und Hürtgen eine E-Mail, die der Hacker »Juri« während des Treffens am Montag an P. senden soll. Auch bei TITANIC herrscht schließlich das Motto: »Jetzt muß es natürlich weitergehen.«

Golz läßt den Text von entfernten Bekannten zudem ins Russische übersetzen, Stichwort Authentizität.

19. FEBRUAR 2018, MONTAG

Gegen 15 Uhr erreicht Hürtgen das Springer-Hochhaus. Er setzt seine T€DI-Brille auf und wird zu Christopher. An der Einlaßkontrolle geht alles glatt, und schon empfängt ihn der freundliche Redakteur P. Er führt ihn in ein Café im Foyer, wo zwei weitere Kollegen aus der Politikredaktion warten. Die Springer-Leute sind so nett, wie man sie erwartet: supernett. Christopher muß erneut seine ganze Geschichte erzählen, die »Bild«-Redakteure wollen alles ganz genau wissen (»Was für einen Laptop nutzt Kühnert?« – »Äh, Lenovo!«), doch Christopher kennt seine Geschichte gut und kann sie zudem noch prächtig ausschmükken. Auf die Frage nach seinem Job oder Studium gibt er an, Fälscher zu sein: »Ich bin Ghostwriter, ich schreibe Abschlußarbeiten für Studierende.« Über diese Kontakte habe er auch Gerüchte über Kühnerts Rußland-Verbindung gehört. Bevor das Gespräch in eine lebhafte und befreite Diskussion über die deutsche Sozialdemokratie mündet, wollen die »Bild«-Leute noch wissen, ob es Christopher denn nicht ärgere, daß andere Medien die ganze Geschichte als lächerlichen Fake abtun. »Nein, gar nicht. Ich hab ja schon Angst gehabt, von Ihnen hier bei Springer als Wahnsinniger abgestempelt zu werden«, säuselt der Informant, der von seiner Billigbrille langsam Kopfschmerzen bekommt. Irgendwann während des Gesprächs erhält P. die Mail des Hackers Juri. Er schaut zwar mehrmals auf sein Smartphone, läßt sich aber nichts anmerken. Nach 50 Minuten sind vier Café Latte ausgetrunken (P. bezahlt wie ein Gentleman) und der Leaker tritt wieder auf die Axel-Springer-Straße. Hürtgen überlegt draußen, fürderhin einfach als Christopher weiterzumachen und sich mit Ghostwriting durchzuschlagen. Bisher klappt es ja ganz gut. Oder ob er P. nach einem Praktikum fragen soll?

Am Abend ist Julian Reichelt bei Plasbergs »Hart aber fair« zu Gast. Nach einer juristisch hiebund stichfesten Argumentation betreffs des richtigen Strafmaßes für Kinderschänder sagt er: »Ich kann auch immer raten: Wenn Sie sich für Journalismus interessieren, zur ›Bild‹ zu kommen.« – er ist wohl a) ein Irrer mit irgendeiner Motivation, b) einer, der die Wahrheit spricht, oder c) fremdgesteuert. TITANIC weiß: Es ist eine Mischung aus b) und c).

Auch auf Bild.de tut sich was: Um 20:23 Uhr geht der Artikel »Experten werten Daten aus: Wer steckt hinter Mail-Kampagne gegen Juso-Chef?« online, verfaßt von Christophers Freund P. Man habe bei »Bild«, wird wahrheitsgemäß berichtet, »direkten Zugang zur E-Mail, die der Informant von Kühnerts Rechner am 9. Februar 2018 an eine anonyme ›gmx‹-Adresse geschickt haben will«.

Ein »Cyber-Security-Professor« habe die Daten ausgewertet und sei zum Ergebnis gekommen, »daß der Verfasser mit hoher Wahrscheinlichkeit … Zugang zu Systemen der SPD« habe. Möglich sei auch diese Variante: »Der Zugang zum SPD-Netz kann auch über einen mit einem Virus infizierten Rechner erfolgt sein.« Bei TITANIC werden Golz und Hürtgen zu Chefredakteur Tim Wolff zitiert, sie müssen eidesstattlich versichern, nicht wirklich bei der SPD in die Server gehackt zu haben. Natürlich nicht! Schließlich will man auch die Recherchepartner bei der »Bild« nicht in illegale Machenschaften hineinziehen.

20. FEBRUAR 2018, DIENSTAG

Das SPD-Mitgliedervotum beginnt heute offiziell, die ersten Abstimmungszettel erreichen die Mitglieder. Doch bereits am Vormittag redet das ganze Land nur noch über eine wunderbare Satireaktion, die heute bekannt wurde. Und zwar von Reichelts »Bild«! Die Springer-Leute präsentieren auf der Titelseite einen Hund, den sie in den vergangenen Wochen in der SPD angemeldet haben, um ihn auch über Groko oder #NoGroko abstimmen zu lassen. Reichelt zeigt mit einem Augenzwinkern, wie absurd Parteienpolitik in Deutschland sein kann: Im schlimmsten Fall dürfen Hunde oder Ausländer (siehe 6. Februar) ein Wörtchen mitreden.

In Frankfurt bei TITANIC ist man begeistert und voller Anerkennung: Die »Bild« fährt irre SPD-Scoops auf, die man neben dem gemeinsamen Thriller aus Russenhackern, Jungsozialdemokraten und windigen Cyber-Professoren noch einfach so parallel vorbereitet hat. Respekt! Und jetzt kann man gemeinsam noch einen draufsetzen. Am besten gleich morgen.

»Bild«, S. 3, vom 20.2.2018

21. FEBRUAR 2018, MITTWOCH

Um 09:45 Uhr ist es soweit. TITANIC ergänzt per Pressemitteilung Reichelts sensationelle SPD-Berichterstattung um #miomiogate. Alle Bundesbürgerinnen und -bürger können auf www.titanic-magazin.de den gesamten Mailverlauf zwischen Kühnert und Juri herunterladen. Und das Interesse der Bevölkerung ist ebenso groß wie das der Presse. Während die TITANIC-Server an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben werden, klingelt ein begeisterter deutscher Medienbetrieb pausenlos die Redaktion an. Weil im Jahr 2018 saubere Recherche außerhalb des »Bild«-Politikressorts nicht mehr ohne weiteres zu bewältigen ist, wollen sie alle eine Bestätigung darüber, keinem Fake-Fake aufzusitzen. Im Axel-Springer-Hochhaus ist bis zum Nachmittag seltsamerweise niemand bereit, sich zur gemeinsamen Kampagne mit TITANIC zu bekennen. Erst um 15:30 Uhr äußert sich Reichelt per Kommentar auf Bild.de und in mehreren Tweets und bestätigt stolz die ganze Hammerstory. Irritierenderweise ist er es, der seinen Redakteur P. als erstes mit vollem Namen als verantwortlichen Mitarbeiter outet. TITANIC nimmt den Informantenschutz sehr ernst und verzichtet bis heute darauf. Egal: andere Zeitungen, andere Sitten.

Am Abend ergibt sich eine einmalige Gelegenheit: Der vom Kreml finanzierte Propaganda-Sender »Russia Today international« möchte mit Hürtgen live über #miomiogate sprechen. Außerdem sollen für den Ableger »RT deutsch« zwei Antworten für AfD- und Putinfans in Deutschland aufgezeichnet werden. Wo es bisher mit Juri nur eine fiktive russische Beteiligung am SPD-Mitgliedervotum gab, kann man jetzt über den Sender der Trollfabriken und Superhacker eine Leitung nach Moskau legen – und damit als kleines Dankeschön an die »Bild« endlich das bestätigen, worüber u.a. Julian Reichelt seit einiger Zeit munkelt. Hürtgen fährt in ein von »RT international« gemietetes Frankfurter Studio und spricht per Liveschalte mit den Moderatoren in der russischen Hauptstadt. In bestem Kühnert-Englisch bietet er an, die durch #miomiogate gewonnenen Informationen über den Umgang mit deutschen Boulevardblättern für wenige Bitcoin an den Kreml zu verkaufen.

22. FEBRUAR 2018, DONNERSTAG

Kevin Kühnert nennt sich auf Twitter jetzt gewitzt »Juri Kühnert«. Spoiler: Am 4. März wird er mit #NoGroko beim Mitgliedervotum natürlich krachend scheitern. Die Jusos müssen sich künftig die Frage gefallen lassen, warum sie nicht wirklich den Kontakt zu russischen Trollfabriken gesucht haben.

In Berlin kommt Julian Reichelt derweil nicht mehr vom Smartphone los. Seit gestern twittert er pausenlos über die schmutzige »Kooperation« von TITANIC und »RT international« – natürlich ironisch. Sogar den offiziellen »Bild«-Account nutzt er großzügig, um seine eigenen Tweets weiterzuverbreiten und die TITANIC-»Bild«-Kampagne noch eine Meta-Ebene höher zu hieven. Irgendwann kriegt Reichelt den faschistoiden Kanal von »RT deutsch« soweit, auf seine Tweets zu antworten. Der ehem. Kriegsreporter Reichelt ballert enthemmt und mit doppeltem Boden zurück, es ist ein herrliches Satire-Spektakel.

Andere Journalisten plagen hingegen schlimme Bauchschmerzen: Erst war man überfordert von der Frage, ob #miomiogate ein Fake-Fake ist; jetzt wissen einige nach anfänglicher Freude über vermeintlichen Schaden bei der »Bild« nicht mehr, was es bedeutet, wenn TITANIC tatsächlich die Russen ins Spiel bringt. Sie fühlen sich um ihr Happy End betrogen. Herrje, es ist alles ach so kompliziert! Wann wird wieder alles so einfach, wie es früher einmal war?

»Bild«, S. 2, vom 22.2.2018
»Bild«, S. 2, vom 23.2.2018

23. FEBRUAR 2018, FREITAG

Am frühen Nachmittag treffen in der TITANIC-Redaktion zwei per Kurier gelieferte Pakete von der Firma MioMio ein. Enthalten ist jeweils ein Kasten MioMio Mate Ginger in der #miomiogate-Spezialedition. Ein herrlich erfrischendes Getränk, das man sich für den Sommer unbedingt merken sollte.

Moritz Hürtgen, mit Dank an @DaxWerner und Alexander Golz

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt