Inhalt der Printausgabe
TITANIC Digitalcharta
Schmuddel-Literaten:
Jetzt schreiben sie auch noch Gesetze!
DIE LOBO-LOBBY
Ständige Leser dieser Zeitschrift wissen um ihre schreibenden Lieblingsfeinde. Sie wissen, sie haben zu lachen, wenn hier die Namen von Sascha Lobo oder Juli Zeh auftauchen. Selten aber werden hier handfeste Warnungen ausgesprochen. Diese Leute sind neuerdings nicht nur eine Zumutung, sie sind auch eine Gefahr. Wenn Großkonzerne Politikern Gesetzestexte diktieren, schrillen inzwischen alle Alarmglocken. Wenn Großautoren das tun, sollten sie nicht leiser schrillen.
JETZT BITTE NOCH SCHNELL DISKUTIEREN
Innerhalb von 14 Monaten haben Wissenschaftler, Politiker und Journalisten eine sogenannte »Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union« entworfen, die der Soziologe Heinz Bude Anfang Dezember im EU-Parlament vorstellte. Die Idee dazu hatte noch der selige FAZ-Wirrkopf Frank Schirrmacher selber gehabt; bezahlt wurde das ganze mit Mitteln der Zeit-Stiftung. Als Schirmherren wurden unter anderem EU-Chef Martin Schulz, Jürgen Habermas und die stellvertretende Spiegel-Chefredakteurin Susanne Beyer angeführt.
In der Charta selbst finden sich von A wie »Algorithmen« bis Z wie »Zensur« alle Stichwörter, die man heute braucht, wenn man sich reichweitenstark über das Internet Sorgen machen möchte. Anfang Dezember wurde der Text der »Netzgemeinde« (Konrad Zuse) zur Diskussion anheimgestellt; schon wenige Tage später twitterte Martin Schulz: »Wir haben die Digitalcharta bereits an den zuständigen Ausschuß überwiesen.« Aha. Wie, Moment? Da haben sich ein paar Privatpersonen was überlegt, und das geht schon an einen Ausschuß? Wird das eventuell sogar Gesetz, was da großzügigerweise zwei Tage zur Diskussion stand? Das sollte man sich doch einmal näher anschauen.
DER LÄRM UND DAS NICHTS
Wenigstens die Präambel war schon das viele Zeit-Geld wert: »Im Bewußtsein, daß die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, die zunehmende Digitalisierung zur Veränderung der Grundlagen unserer Existenz führt, es im digitalen Zeitalter zu enormen Machtverschiebungen zwischen Einzelnen, Staat und Unternehmen kommt, im digitalen Zeitalter eine zivilgesellschaftliche Debatte entstanden ist und weitergeht«, ah ja, Moment, hier doch erst mal stop. Eine Debatte ist uns erstanden? In einem ja doch irgendwie Verfassungstext? Erst will man entnervt den Tab schließen, aber dann erinnert man sich doch an die Erklärung der Menschenrechte 1789, wo festgehalten wurde, daß im Zeitalter der Dampfmaschine eine spannende Debatte um die Abschaffung der Fronknechtschaft entstanden ist. Doch weiter zu Artikel 1, Absatz 1: »Die Würde des Menschen ist auch im digitalen Zeitalter unantastbar. Sie muß Ziel und Zweck aller technischen Entwicklung sein und begrenzt deren Einsatz.« – »Aha, soso, jaja« (Friederike Haupt).
Und so reihen sich hier die gutgemeinten Selbstverständlichkeiten aneinander, in denen überall noch schnell »in der digitalen Welt« oder »im digitalen Zeitalter« eingefügt wurde. Es ist ein Text für jene hoffentlich bald wegsterbende Generation, für die das Digitale immer noch »Neuland« und Eigentum einer »Szene« ist. Hauptabnehmer solcher Texte sind meistens Günther Oettinger oder einer seiner Pfleger.
DIE MENSCHMASCHINEN HABEN SICH WAS ÜBERLEGT
Als Verfasser dieser immerhin jetzt schon ausschußreifen Gedankenfragmente zeichnen BeiträgerInnen, bei denen man sich meistenteils fragt, warum sie nicht längst zusammen mit der Piratenpartei abgewickelt wurden. Sie selbst nennen sich »eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, denen die Gestaltung der digitalen Welt am Herzen liegt«, so als wäre das der Onkel Peter mit seiner kleinen Bitcoin-Farm in der Garage, der da herzt, und nicht ebenjene Trash-Intelligenzija, die in Ermangelung eines echten geistigen Lebens in diesem Land schon seit Jahrzehnten in Dauerschleife durch die Talkshows und Leitartikel gezogen wird; unter anderem der ewige Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo; der Beschleunigungsdenker Byung-Chul Han; Juli Zeh, Deutschlands patentierte hölzerne Schreibmaschine, und natürlich der unentrinnbare Adabei Sascha Lobo. Sie sind es, die hier auf Thomas Jefferson machen, im Ton der angestrengten Ahnungslosigkeit von Abiturienten, die gerade am PoWi-Planspiel »Wir gründen ein eigenes Land« teilgenommen haben.
Insbesondere Sascha Lobo kann hier als federführend angesehen werden, fast jeder Beitrag im Digitalcharta-Blog ist von ihm. Lobo, dessen wenig beneidenswertes Leben man sich so vorstellen muß, daß er auf Tagungen sklerotischen SPD-Patriarchen bei Bier und Käsebrez’n erklärt, warum sie sich jetzt doch langsam einen Facebook-Account anschaffen sollten, will offenkundig hoch hinaus. Böse Menschen könnten mutmaßen, der schon immer sozinahe Spon-Schreiber diene sich auf diese Weise einem Kanzlerkandidaten als Digitalberater an. Will er eventuell gar Minister werden? Wenn, dann müßte man schon ein wenig Angst haben vor diesem Werber, der gerne ein Intellektueller wäre und mal eben so eine Verfassung mit glühender Nadel ins Pad reinhaut. Wem vor einem Legislator Trump graut, der darf von einem Minister Lobo nicht schweigen.
GLEICH INS PAD DAMIT
Der Informatiker Jürgen Geuter hat die »deutlichen handwerklichen Schwächen« des Produkts kritisiert: »Die Artikel wirken teils, als wären sie aus übriggebliebenen Textbausteinen anderer Gesetzentwürfe oder Feuilletontexte zusammengesteckt.« Es fehlt schon an juristisch Handwerklichem: Grundrechte werden plötzlich gegenüber privaten Einrichtungen eingefordert, gleichzeitig wird der falsche Gerichtshof als für alle Fragen letztzuständig erklärt – wie es eben passieren muß, wenn sich Diskursorgeln wie Zeh und Lobo mit Martin Schulz auf Zeit-Kosten beim Barolo treffen.
Andere Töne kamen von rechts, von der AfD und dem ihr angeschlossenen FAZ-Blogger Don Alphonso, die das sogleich in ihren wahnhaften Kampf gegen »Zensur« einbauten. Weiß Gott: Wenn die Charta solchen Leuten das zahnlose Stinkmaul zumachen tät’, man könnte glatt dafür sein, aber sie tut ja noch nicht mal das: »Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern«, heißt es vielversprechend in Artikel 5, Absatz 2, aber schon einen Absatz weiter: »Ein pluraler öffentlicher Diskursraum ist sicherzustellen.« Larifari Löffelstiel, der Artikel taugt nicht viel. Des einen Hetze ist nun mal des anderen Pluralität, die Abwägung im Einzelfall wird durch dies Geraune jedenfalls weder erleichtert noch verhindert. Von daher schon irgendwie schade.
SAGT MAL WAS DAZU
Gegen die Kritik stemmte sich sogleich Zeh selber, die auf die Vorläufigkeit des Ganzen verwies: »Jedes einzelne Wort, jeder Satz, die gesamte Systematik sind reversibel. Am wünschenswertesten wären zum jetzigen Zeitpunkt und in den kommenden Wochen konkrete Vorschläge. Also zum Beispiel: ›Art. 5 komplett streichen.‹ Oder: ›Die Formulierung XY durch folgenden Text ersetzen.‹ Solche Vorschläge können wir sammeln, wir können sie ordnen und in einem offenen Diskurs weiter behandeln.« Es ist Mist, aber wenigstens ist es Mist, der ist. Es mußte halt irgendwas her, nächstes Jahr ist doch schon Wahlkampf, und der Sascha will ja auch nicht auf alle Zeit den Spon-Erklärbär geben; am allerwertesten wären jetzt also KONSTRUKTIVE Vorschläge. Sich hascherlhaft mit einem »macht ihr es doch mal besser« herausschmollen, ist das eine; angesichts von anderthalb Jahren Zeit und den geballten Geldbeuteln von Zeit-Stiftung, Europäischem Parlament und SPD jetzt mit »sorry, mehr war nicht drin« zu kommen, das hingegen ist wiederum schon eine ziemliche Frechheit. Zumal der »Diskussionsvorschlag« ja auch sogleich ans Parlament ging. Das offensichtliche Gestümper noch mal schnell mit dem Jammerlappen zu polieren, dafür braucht man schon eine gestandene Erfolgsschriftstellerin.
BENUTZER »SUPERLOBO« HAT BEGONNEN, »GRUNDGESETZ« ZU EDITIEREN
Sascha Lobo ist ja schon länger bei der SPD, neu ist, daß der gescheiterte Romanautor sich offenbar in di Lorenzos Vorzimmer eine politische Karriere zurechtzimmern läßt. Was, wenn er demnächst über die Wiedereinführung der Todesstrafe entscheiden muß? »Die Todesstrafe muß auch auf der digitalen Datenautobahn das letzte Mittel der Wahl sein. Bei allen Todesurteilen muß stets die Menschenwürde unter Maßgabe des digitalen Zeitalters geachtet werden.« Denn, liebe Demokratieteilnehmer: In der Kürze der Zeit war leider nicht mehr drin gewesen. Aber wir laden alle Todeszelleninsassen zu einem öffentlichen Dialog ein. Mit offenem Ausgang beziehungsweise Arsch.
Leo Fischer