Inhalt der Printausgabe
TITANIC Frauen & Technik
Im Weltall trägt man Pfennigabsatz
Rußland schießt den ersten Hund ins All (Pluto). Rund 60 Jahre später soll auch die erste deutsche Frau den Sprung in den Weltraum wagen. Wie verhält sich wohl der weibliche Organismus in der Schwerelosigkeit, beim Waschen, Kochen oder Putzen? Was passiert, wenn frau extremen Geschwindigkeiten über 80 km/h ausgesetzt wird? Und darf sie im All Jogginghosen tragen? Diese Fragen sollen im ersten bundesdeutschen Raumfahrtprogramm der Damen geklärt werden.
Reines Östrogen liegt in der Luft
Der Wettlauf ins All beginnt schon vor dem Gelände des Institutes: Über 300 Bewerberinnen aus ganz Deutschland suchen einen Parkplatz, dabei werden Fingernägel lackiert, Lippenstiftrezepte ausgetauscht, Blechschäden in fünfstelliger Gesamthöhe verursacht. Eine Schmuckdesignerin aus Erfurt rast im Rückwärtsgang ins Pförtnerhäuschen, eine Jack-Wolfskin-Powerlesbe überfährt in ihrer Aufregung einen Hund. Irgendwann stehen 300 bonbonfarbene Mini-Autos großzügig über das Parkplatzareal verteilt, und die Fahrerinnen machen sich nach einem letzten Blick in den Rückspiegel auf den Weg ins Institut. Bei vielen läuft noch der Motor.
Mit George Clooney in der Nespressokapsel
Zur Begrüßung hat sich die Direktorin des Hauses, Dr. Kersting, eine kleine Frau mit Professorenhalbglatze, etwas ganz Besonderes ausgedacht: eine Modenschau für mollige Astronautinnen. Die Star-Wars-Melodie erklingt, die Nebelmaschine läuft. Frau Dr. Kersting wird an Stahldrähten von zwei kräftigen Labormitarbeitern durch die Luft geschwungen: »Meine sehr verehrten Damen und Frauen, ich präsentiere Ihnen unser erstes Modell: das Schwarze Loch! Jede Frau ist schön!« Eine rundgewachsene Frau huscht über den improvisierten Catwalk. Tosender Applaus, 300 Frisuren wippen begeistert auf und ab. Eine Dreiviertelstunde später hängt Frau Kersting wie gerädert in den Seilen: »Der Traum vom Fliegen. Könnte er eines Tages auch für uns Wirklichkeit werden?« Mit einer Art Urknall landet sie wieder auf dem Boden der Empfangshalle. Jetzt gibt es erst mal für alle ein Glas Sekt.
Nächste Station: Sportplatz. Frau Dr. Kersting trägt jetzt einen korkfarbenen Aerobic-Anzug aus der Kollektion Paola Felix, dazu farblich abgestimmte Barfußschuhe (lila). Die Bewerberinnen werden nach Alter und Haarfarbe in Gruppen eingeteilt, jetzt sind Geschicklichkeit, Ausdauer und Teamgeist gefragt – mit anderen Worten: Völkerball bis zum Abwinken! Nach zehn Minuten wird abgewinkt, die Grenzen der Belastbarkeit sind weit überschritten. Frau Kersting pfeift das Spiel ab, Gruppendusche, Haare fönen, Beine eincremen.
In der Nespressokapsel-Lounge folgen dann medizinische Tests (»Ziehnse mal an dem Finger!«, »Darf’s noch ein Piccolöchen sein?«), mittelschwere Sudokus müssen gelöst, Fragebögen ausgefüllt werden: »Wie hieß der erste Aal im All?«, »Hat Ihnen Ihr Vater jeden Sonntag unsere neun Planeten erklärt?« oder »Was reizt Sie am meisten an einem Flug in ferne Galaxien?« – »Die Atmosphäre!« gibt hier eine 45jährige Heilerin aus Bad Camberg als Antwort an.
Birnenkuchen und Lavendel
Im Versuchslabor 12 im obersten Stock des Institutes wird die Luft schon etwas dünner. Hier soll die allgemeine Verträglichkeit von Astronautennahrung getestet werden: Zur Auswahl stehen zwei verschiedenfarbige Nährstoffpasten in den Geschmacksrichtungen rot und blau. Unmut macht sich breit, Schnuten werden gezogen: »Das lassen wir uns nicht bieten!«, »Wo bleibt denn da die Eßkultur?« – Eine Immobilienmaklerin aus Hamburg fletscht wie wild die Zähne und schlägt, dramatisch ausgedrückt, mit ihrem Freßnapf gegen die Gitterstäbe: »Wir wollen auch im All leicht und lecker genießen!« Eine Unternehmensberaterin aus Frankfurt (45) spritzt Urin, es herrschen plötzlich Planet-der-Affen-artige Zustände, am Ende können die Aufständischen nur noch mit einem Feuerwehrschlauch in Schach gehalten werden. »Die Astronautennahrung ist für den weiblichen Organismus in ihrer bisherigen Form ungeeignet«, wird es später nüchtern im Abschlußbericht heißen.
Es ist kurz nach 14 Uhr, die Bewerberinnen liegen fix und foxi im Treppenhaus, manche mit nassen Haaren – die fröhlich-hysterisch aufgeladene Stimmung vom Vormittag ist komplett verpufft. Doch das ist auch gut so, denn die nächste Aufgabe verlangt allerhöchste Konzentration:
Im Flugsimulator

Der Flugsimulator ist richtig schnuckelig eingerichtet: flauschiger Teppichboden in allen Räumen, gedämpftes Kerzenlicht im Cockpit, es riecht nach Birnenkuchen und Lavendel. Jemand hat aus der Bunte die schönsten Fotos von Justin Trudeau ausgeschnitten und in Herzform über die Toilette geklebt, als Nervennahrung dient ein Schälchen Kokosnüsse. Hier läßt’s sich leben! Bzw. arbeiten. Als erstes will Hanna-Ingar, eine Musikjournalistin aus Hamburg, ans Steuer. Ihre Aufgabe: Rückwärts einparken zwischen zwei Planeten. KNRCKS! Schon hat sie den Steuerknüppel aus der Armatur gerissen, gefolgt von einer kleinen Explosion. Zum Glück ist die Feuerwehr noch da! Bevor heute noch mehr Schaden angerichtet wird, beschließt Frau Dr. Kersting deshalb den sofortigen Abbruch der Mission: »Feierabend, meine Damen!«
Ein kleiner Tag für die Menschheit
Die Direktorin hat sich noch schnell etwas Bequemes angezogen. Im leichten Sommer-Blouson (Escada) verabschiedet sie jede der 300 Bewerberinnen persönlich: »Wir sehen uns bei Facebook!« bettelt sie noch und drückt jeder ein warmes Milky Way in die Hand.
Vielleicht sind ja doch noch eine Menge kleiner Schritte nötig, bis die erste deutsche Frau den ersten großen Schritt zu den Sternen macht – doch die Motoren sind gestartet, bzw. die Motoren auf dem Parkplatz laufen ja immer noch, und so steigen 300 Frauen zurück in ihre Mini-Autos, verteilen sich auf die Autobahnen dieses Landes und träumen dort weiter von ihrer allerersten Weltraumreise. Für eine von ihnen wird der Traum eines Tages wahr werden, den anderen bleibt wenigstens der Trost, daß die Erde selbst, genaugenommen, auch schon im Weltall liegt.
Elias Hauck