Inhalt der Printausgabe

 

Noch fünfzig Zentimeter, dann ist es geschafft. Unbarmherzig weht der laue Frühlingswind in den offenen Hosenstall des jungen Mannes. Wo jeder andere jetzt auf gar keinen Fall nach unten schauen würde, tut der Kletterer genau das: Er sieht nach unten, betätigt den Auslöser seiner Helmkamera und erklimmt zufrieden nickend die letzten Sprossen. Dann pflückt er einen Apfel, springt von der Leiter und saust von dannen. Axel Z. muß heute seinen Eltern im Garten helfen. Abends aber wird er zum Roofer. Sein Hobby: Roofing, das ungesicherte und illegale Besteigen von Wolkenkratzern, Türmen und Sehenswürdigkeiten aller Art – Hauptsache hoch.

 

Seit etwa einem Jahr entwickelt sich die Frankfurter Roofing-Bewegung zu einem beachtenswerten Phänomen. Und die Gesellschaft sieht tatenlos zu: auf Youtube, wo Videos mit Titeln wie »Nachts auf Brunnen Alte Oper«, »Krasse Römerbergbesteigung« und »Riesenrad Wäldchesfest 2013« zehntausende Views erreichen. Auf die Frage nach der Motivation für seine waghalsige Kraxelei hört man von Axel Z. die üblichen Plattitüden: »No risk, no fun! Ich möchte einfach in meiner Freizeit diesen Kick spüren, den ich nirgendwo sonst bekommen kann.« Im echten Leben ist Axel Schornsteinfeger.

Seine Ursprünge hat der Roofing-Hype in Rußland. Für die Jugendlichen dort ist Roofing oft die einzige Möglichkeit, ihrem tristen Alltag zwischen Raketentests, Massenveranstaltungen und nuklearem Winter zu entkommen. Jetzt also Deutschland, Frankfurt. Jugend- und Bauamt sind alarmiert, ein 116 Meter hoher Universitätsturm wurde bereits vorsorglich gesprengt. »Die Skyline der Mainmetropole lädt natürlich regelrecht zum Erkunden ein«, sagt Hochhausmeister Maik Rolle. »Wir tun alles, um das unbefugte Eindringen in die Gebäude zu erschweren. Der Commerzbanktower zum Beispiel ist für Roofer höchstens noch durch einen offenen Lüftungsschacht neben dem Lieferanteneingang auf der Südseite zugänglich, durch den man 30 Meter geradeaus kriechen muß, bevor man links über eine Luke ein Kabuff erreicht, in dem ich von 20 bis 22 Uhr ein Nickerchen halte, während mein Generalschlüssel auf einem Stapel Ersatz-Uniformen abgelegt ist.« Okay.

 


Kleines Roofing-Glossar

Selfie: Beweisfoto (besser noch: Video) von der Aktion

Surfen: Nebenbewegung des Roofing. Auf dem Dach von öffentlichen Verkehrsmitteln liegen. Strafbar als Schwarzfahren

Reefer: Medizinisches Hilfsmittel, macht das Roofen lustiger

Schuhe: Spezielle Fußbekleidung, schützen vor Kälte und Verletzungen

Lift: Aufzug, Fahrstuhl. Benutzung gilt als unehrenhaft

Oben: Da, wo der Daumen hoch ist

Unten: Traditioneller Beginn jeder Roofing-Aktion

Hochmut: Kommt vor dem -> Fall

Haus: Gebäude mit vier Buchstaben

Fall: Fail

Auf den meisten seiner Roofing-Touren ist Axel Z. mit Freunden unterwegs. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich andere zum Mitmachen bewegen konnte, ich war da lange der einsame Roofer in der Wüste«, gesteht er. »Überzeugen ließen sie sich erst mit Hilfe von willensbrechenden Drogen, sogenannten Roofies.«

Wie kann man verhindern, daß einer dieser Todeskletterer irgendwann bis zur Himmelspforte steigt? Schärfere Gesetze wären ein Ansatz: Wer von einem Wolkenkratzer stürzt, wird in einem extra tiefen Grab beerdigt; wer schwer verletzt überlebt, wird zur Reha nach Pamir geschickt (»Dach der Welt«). Außerdem könnten die Medien hilfreich sein: indem sie ausdrücklich vor dem spannenden Trendsport warnen – oder indem sie die jungen, gut ausgebildeten, meist sehr schönen Urbanhelden schlicht ignorieren, anstatt sie unnötig zu glorifizieren.

Torsten Gaitzsch

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Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt