Inhalt der Printausgabe

Das Beben der anderen

Es hämmert gegen die Scheibe unseres Jeeps, als wir uns dem Schauplatz des Grauens nähern. Es ist der Regen. Doch es sind auch die zahllosen  Journalisten, die verzweifelt auf sich aufmerksam machen wollen. Mit hängenden Schultern säumen sie die lange, ausgezeichnet gepflasterte Straße, betteln stumm. Fordernd streckt uns Patricia Riekel ihre Arme entgegen – sie sind völlig verunstaltet (kitschige Uhren, geschmacklose Perlenarmbänder). »Hier ist jetzt das Elend zu Hause«, greint die nur mit ein paar Fetzen von Chanel bekleidete Societygöttin (Bunte) warnend. Langsam wird es dunkel in Malibu, Kalifornien.
Angelina Jolie und Brad Pitt. Kontinentalplatten. Ikonen einer Gesteinsmassenbewegung. Schon lange driften die beiden in entgegengesetzte Richtungen, verhaken sich oft wegen Kleinigkeiten. Sie ist erschüttert, wenn er sich mal wieder die Bruchkante gibt, ihn läßt es völlig kalt, wie sie ihm ihren nackten Erdkörper anbietet. Aus Spannungen werden Verwerfungen, hinterlassen tiefe Risse in der Beziehung. »Die Lithosphäre ist total belastet«, weiß die gewohnt gut deformierte Riekel, »ein gigantischer Zerfallsprozeß!«

Manche Bilder kann man sein Leben lang nicht vergessen, zum Beispiel das eine mit den Bauarbeitern auf dem Stahlträger. Irre! Trümmerbilder wie dieses wirken hingegen beliebig und austauschbar.

Riekel ist eine von denen, die am meisten unter der Katastrophe leiden. Seit Jahren fristet sie ein Dasein haarscharf an der geistigen Armutsgrenze, kämpft jeden Tag aufs neue darum,  irgendwie zu überlegen. Doch nun ist alles anders, alles noch viel schlimmer: Nach der Trennung herrscht extreme Themenknappheit in den Klatschspalten, Riekel und ihre Kollegen leben von zwei, vielleicht drei Schlagzeilen pro Tag, manche älter als ein Jahr. Wann ist der Punkt erreicht, an dem Verzweiflung in Gewalt umschlägt, wollen wir von ihr wissen. Riekels Blick ist leer: »Wenn sich die Lage nicht bessert, bin ich zu allem fähig«, haucht sie kraftlos. Später wird sie uns gestehen, daß sie in ihrer Verzweiflung sogar kurz daran gedacht hat, die Notbremse zu ziehen, in ihrem Wahn beinahe eine sorgfältig recherchierte Spitzenreportage aufs Papier zaubern wollte. Erschreckend!

Das Elend speist am Nachbartisch

Die Bilder der darbenden Kollisionsfrontreporter am Straßenrand brennen sich uns ein. Sieht es so in der Hölle aus? Oder vielleicht in Gelsenkirchen-Buer? Als wir abends in unser Hotel zurückkehren, liegen die Nerven blank. Weltende. Wir können keinen klaren Gedanken fassen. Es ist, als ob wir mit einem Fluch belegt sind oder das berühmte Cali Weed endlich seine Wirkung entfaltet. Als der Kellner uns ein Schälchen Koberind an den Platz bringt, winken wir ihn mit müden Augen weg. Sich mit superköstlichem Luxusschnickschnack vollstopfen, während ein paar Kilometer weiter der Himmel einstürzt? Pervers – zumal jeder von uns bereits drei himmlische Portionen intus hat. Ja, sie ist es: die furchtbarste Woche unseres Lebens.
Rückblick. Es ist der 12.01.2010, 16:53 Uhr Ortszeit, als sich auf einmal ein gewaltiges Grollen über Südkalifornien ausbreitet. Angelina hat sich für ihren Mann in Schale geworfen, in einem ihrer liebsten Fashion-Hotspots einen neuen Mantel ergattert. Brad aber bemerkt nichts, provoziert seine Frau bis zu einem ihrer gefürchteten explosiven Ausbrüche. Zeugen berichten von gigantischen Magmaeruptionen! »Mein Auto schaukelte urplötzlich wie wild hin und her!«, erinnert sich ein Anwohner, der beim gebannten Beobachten der Schreckensszenen die Kontrolle über seinen Wagen verlor. »Es flogen Gegenstände durch die Luft, Gläser und Teller. Überall sah man die Trümmer ihrer Beziehung!« Ein Schock, den jeder auf seine Weise verarbeitet: Nur wenige Minuten nach dem großen Knall hat Pitt bereits die attraktive Nachbarin unter sich begraben, stürzt auf sie nieder, daß die Wände wackeln.

Die größte Gefahr im Epizentrum sind vielleicht die geschmacklosen roten Ringe, die jedes Stadtbild zu ruinieren drohen.

Am nächsten Tag machen wir uns schon im Morgengrauen auf den Weg nach Malibu. Genauer: nach Los Feliz. Das klingt in einer (so furchtbaren) Woche wie Hohn in unseren Ohren, oder wie ein ganz guter spanischer Bandname (Tango). Nach unserer Ankunft treffen wir junge Frauen, die ziellos durch die Straßen irren, ihre schlaffen Körper übersät mit Starschnitten. Und wir treffen trauernde Kollegen wie Regisseur Doug Liman, der die beiden erst zusammenführte, als er sie für seinen Film »Mr. & Mrs. Smith« gewann. Der hanebüchene Plot: Angelina (als Loki) bittet Brad (als Helmut Smith) um Feuer, daraufhin entschließt sich dieser sofort zum Doppelbeschuß.  »Vielleicht werde ich nie wieder mit den beiden drehen können«, schluchzt Liman, »wovon soll einer wie ich denn in Zukunft leben?« Diese furchtbarste Woche unseres Lebens, es ist auch die seine.

Sie sagen: Gott ist schon mal heimgefahren

Am Mittag trifft das Rote Kreuz in Malibu ein. Mutige Helfer bauen in einem unerbittlichen Wettlauf gegen die Zeit Angelina Jolies restlos zerstörte Frisur wieder auf, reparieren ihr schaurig verwischtes Make-Up. Tausende Vertraute aus dem Showbusineß sind gekommen, verteilen Beziehungstips und spenden Trost in Millionenhöhe. Doch je unübersichtlicher die Situation wird, um so mehr Gefahren lauern auch: Erste Berichte über Plünderungen der Kühlschränke machen die Runde, verbreiten ein Klima der Angst.
Trotzdem: Wir betreten noch einmal das Horrorhaus, kämpfen uns mit Mundschutz an gruselig aufeinandergetürmter Schmutzdesignerwäsche vorbei. Gräßliche Höllenlaute, die aus allen Zimmern dringen, lassen uns den Mut in den Adern gefrieren. Als wir hineinblicken, die schreckliche Gewißheit: Kinder. Speichelnd und regungslos auf ihren Pritschen. Das sind sie also: Vivienne, Schiloh, Silo, Zahara, Gobi, Sahel Zone, Pax Bunny, Matlock und Bierhelm. Wir nähern uns den Kreaturen, streichen uns dabei zärtlich über die Wangen. Welchen ihrer Elternteile sollen sie in Zukunft als ersten umarmen oder für die verkorkste Kindheit verdammen? Wessen Namen werden sie tragen – ihren eigenen, oder werden sie im Rathaus einen richtigen beantragen? Am Ende fragen wir uns, ob nicht vielleicht jeder verantwortungsbewußte Bürger solch einen armen Teufel adoptieren sollte, doch wir kommen zu keinem Ergebnis: Einerseits brauchen die Kleinen ein neues, ein harmonisches Zuhause, andererseits braucht kaum jemand ein paar verzogene Ausländerferkel im Haus. Es ist verzwickt, furchtbar verzwickt.

Naturkatastrophen üben auf Schaulustige eine besondere Anziehungskraft aus. Hier im Bild: typisch transpazifisches Blitzlichtgewitter.

In New York tagt der UN-Sicherheitsrat. »Diese Beziehung hat nicht funktioniert«, erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel. »Die Weltgemeinschaft hat das gewußt, aber nichts dagegen getan.« Das Anwesen der beiden Seelenmenschen galt Kennern seit langem als Risikozone. »Im Südflügel des Hauses ist in nächster Zeit mit anhaltendem Donnerwetter und verheerenden Stürmen der Entrüstung zu rechnen«, wußte der Branchendienst wetter.de schon Ende 2008. Worte, die heute beinahe prophetisch klingen. Und uns nachdenklich machen sollten: Wie lassen sich Katastrophen wie diese in Zukunft verhindern? Wann werden bebende Körper zum Sicherheitsrisiko? Und: Wie reagiert man im Gefahrengebiet richtig beim ersten Heulen der Sirene (Ang. Jolie)?

Don’t worry, be happy

Als der Abend hereinbricht, klopft auf einmal ein junger, schmächtiger Mann an unseren Jeep. Er stellt sich als Éric vor, wirkt nervös. Dann erzählt er uns eine unglaubliche Geschichte. Im Internet habe er, verschüttet unter einem Hügel aus morschen Societynews, eine gute Nachricht entdeckt: Die Schreckensmeldungen um Brad und Angelina – angeblich frei erfunden! In Wahrheit seien sie noch immer vereint, habe es den zerstörerischen Krach nie gegeben. Wir sind wie elektrisiert. Naßgeschwitzt wühlen wir uns durch die Archive der Klatschseiten, suchen jeden Winkel ab. Gerade als es kein Weiterkommen mehr zu geben scheint, entdeckt Éric einen kleinen Hammer unterm Fahrersitz. Ich greife ihn mir und zerschmettere das Display unseres Laptops, es zerschellt in tausend Teile. Vor Schreck kneifen wir die Augen zusammen – und plötzlich erscheint es uns ganz deutlich: Und wir lieben uns doch: Bei den »Directors Guild Of America Awards«, die am Samstag (30. Januar) in Los Angeles vergeben wurden, demonstrierten Angelina Jolie und Brad Pitt ihr Pärchenglück. »Sie alberten viel miteinander herum«, verriet ein Zuschauer dem »People«-Magazin. Brad Pitt soll seiner besseren Hälfte den Stuhl herangerückt und ihr immer wieder über den Rücken gestreichelt haben - abgekühlte Beziehungen sehen eindeutig anders aus.(http://www.gala.de/stars/news/91536/Brad-Pitt-und-Angelina-Jolie-Totgesagte-leben-laenger.html)

 

Lukas Haberland

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt