Inhalt der Printausgabe

So Stasi waren die 68er

 

 

Das Jahr 68: Überall herrscht Chaos, rauchen Trümmer, am Ende erdolcht sich Kaiser Nero. Doch auch 1968 ging's heftig zur Sache – mit all den Protesten, Demos und Straßenschlachten! Wie wir heute wissen, hatte die Stasi im Jahr zuvor den Startschuß dafür gegeben, und zwar direkt in den Hinterkopf von Benno Ohnesorg. Und auch sonst ließ die ostdeutsche Geheimpolizei nichts unversucht, das Lebensgefühl der Achtundsechziger zu gestalten und zu kontrollieren.

Jugendkultur

Die aufkommende Rockkultur wird von der Staatssicherheit nach Kräften gefördert. Ihr perfides Kalkül: Laute Musik vereitelt ausbeuterische Gespräche und aggressiv-imperialistische Gedanken. Außerdem sollen die heißen Rhythmen nicht nur Moral und Wehrbereitschaft zersetzen, sondern auch den Körperschweiß der jungen Leute – damit ihnen das System so richtig stinkt. Ehrensache, daß die Stasispitzel alles mithören; bei praktisch jedem Auftritt sind ihre Richtmikros dabei. Leider können die englischsprachigen Botschaften in der Hauptverwaltung nicht dechiffriert werden. Deshalb erfindet man dort wenig später den typisch deutschen Krautrock als Mittel gegen Importabhängigkeit und Vitaminmangel sowie den bunt gebatikten Wickelrock gegen Lustlosigkeit und Hosen.

Östliche Philosophie

Mit ihrer Idee der Totalüberwachung feiert die Stasi daheim Riesenerfolge. Damit ihr auch im Westen nichts verborgen bleibt, initiiert sie die FKK-Bewegung – Volltreffer! Weite Teile der Bevölkerung entblößen sich freiwillig, manche haben sogar Spaß daran. Daß es nun zu freier Liebe kommt, stört die Ministeriellen zwar; ihr Gegenkonzept der unfreien Liebe findet aber nur wenig Anklang. Dafür gelingt es, die Frisurenmode zu beeinflussen. Hinter langen Haaren können sich Stasi-Offiziere gut verstecken und nach Belieben Objekte observieren. Dieser Durchleuchtungswahn bleibt Deutschland bis heute erhalten: Noch immer wollen die politischen Erben von 1968, die Grünen, haarklein wissen: Was genau steckt eigentlich in Lebensmitteln? Oder Atomkraftwerken? Paranoia pur!

Kommunenleben

Als »Schild und Schwert der Partei« will die Staatssicherheit den Kollektivismus in die Köpfe der BRD-Jugendlichen hämmern. Deshalb wirbt sie nicht nur für gemeinschaftliches Rumhängen mittels Joint und Wasserpfeife, sondern auch für gemeinschaftliche Reisen im überfüllten VW Bulli nach Griechenland, gern aber auch nach Afghanistan, in die Nähe des sowjetischen Einflußbereichs. Außerdem gründet sie massenhaft Wohngemeinschaften mit strengem Reglement: Wer sich nicht an den WG-Putzplan oder den Wer-schläft-mit-wem-Plan hält, wird mit endlosen Diskussionen gefoltert. Bei der persönlichen Hygiene drücken die Stasi-Schergen allerdings oft beide Augen zu: Schmuddelhippies verwanzen ihre Zimmer schließlich selbst.

Rauschmittel

Um die Westjugend revolutionär zu stimmen, bringt die Stasi bewußtseinsverändernde Drogen in Umlauf, die alles bunt und aufregend machen. In den Laboren des MfS arbeitet man auch an seinsverändernden Drogen, die alles grau und öde machen; sie schaffen es aber nicht über die Mauer. Mit Hasch und Marihuana wird versucht, die Bundesbürger an das gemächlichere Arbeitstempo im künftigen Sozialismus heranzuführen. In Banken und Behörden gelingt dies umgehend. Bei Festivals und K-Gruppen-Treffen verabreichen Stasimitarbeiter sogar Wahrheitsdrogen wie LSED oder Westmark. Sie sollen die Leute dazu bringen, mit den großen Geheimnissen des Kosmos rauszurücken, z.B. wie man echte Autos baut oder wo eigentlich die ganzen Südfrüchte herkommen.

Mode

Mit allen legalen und illegalen Mitteln unterwandern die Abgesandten des Ostens die bundesdeutsche Kleiderordnung. Um das bourgeoise System zu destabilisieren, werden formelle Vorschriften und Schlipse gelockert, was auch die Arbeit der Informellen Mitarbeiter erleichtert. Unter schlabbrigen Tüchern läßt sich einfach besser konspirieren. Mit der Schlaghose kann der Weg in die Militanz beschritten werden. Auch sonst zeigt sich die Stasi ideenreich: Jesuslatschen sollen den Pazifismus verbreiten helfen, Flowerpower-Motive auf der Bekleidung propagieren die Flucht in ein ländliches Idyll. Erst als plötzlich in allen Küchen Prilblumen kleben, wird der Schwindel enttarnt: In der Natur kommen solche Blumen gar nicht vor!

Studentenprotest

An den Universitäten des Westens findet die ­Staatssicherheit ideale Bedingungen vor. Einerseits lassen sich ­Studenten problemlos als Informanten anwerben: Sie sind es ja gewohnt, immer alles mitzuschreiben. Andererseits tragen sie ihre politischen Ansichten gern auf Bettlaken mit sich herum. Um auch die Professoren unter Druck zu setzen, werden alle Hörsäle in Mithör-, Abhör- und Verhörsäle umgewidmet. Die Mensen werden mit Marschmusik beschallt, um die Studenten durch die Institutionen zu treiben (WC, Irrenhaus). Davon angestachelt sollen sie an ihren künftigen Arbeitsplätzen alles kaputtschlagen, damit es in der BRD endlich so aussieht wie in der DDR.

Fortsetzung im nächsten Heft:

So Stasi waren die 73er!

Mit dem autofreien Sonntag 1973 will die Stasi auf die sozialistische Mangelwirtschaft vorbereiten. Geht der ­tückische Plan auf?

Stephan Rürup/Mark-Stefan Tietze

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg