Inhalt der Printausgabe

UNI<em>in</em>FORM

 

Manuel Drucks (Name schon ziemlich blöd), 23, muß früh aufstehen in letzter Zeit. Um halb vier Uhr morgens klingelt der Wecker. Manuel springt aus dem Bett, schreibt rasch eine Seminararbeit zu ­Ende, radelt wie ein Verrückter an die Uni­versität, fällt im Hörsaal tot um. Was wie ­eine zynische journalistische Überspitzung klingt, ist in diesem Fall eine übertriebene Dar­stellung zur Veranschaulichung eines Sachverhalts. Manuel ist Student; genauer gesagt ein typischer Student der neuen Generation – fleißig, ordentlich, mausetot.

 


 

»Einfach alle umbringen«

 


 

Die deutsche Hochschullandschaft hat sich verändert. Wo einst Berge, Wiesen und ­Felder waren, stehen jetzt Gebäude oder Städte; teils schon seit vielen hundert Jahren. Die Glo­balisierung hat auch vor der Alma Mahler nicht haltgemacht; Worte wie »Bologna«, »Flexi­bilisierung« und »Riesenschweinerei« charakterisieren die Umwandlung. Am ­studentischen Alltag läßt sich gut ablesen, wie sehr sich die ehedem so heile Hochschulwelt gewandelt hat. Von früh bis spät mit den Freunden klönen, gelegentlich mal ein ­Seminar besuchen, sich spätnachts noch schnell aufs Examen vor­bereiten – der Alltag der Professoren ist im wesentlichen der ­gleiche geblieben. Ganz im Gegenteil zu dem der Studenten.

 

Der Bologna-Prozeß, der die europa­weite Vereinheitlichung der Hochschulen kenn­zeichnet, verwirrt schon durch die neue Ter­mi­nologie. So studiert Manuel Drucks das Fach »German Speak Studies« (früher: ­Germanistik). Anstelle der alten Leistungsnachweise erhält er jetzt sogenannte ­»Credit Points«: für jeden Bankkredit, den er zur ­Finanzierung des ­Studiums aufnehmen muß, erhält Manuel ­eine bestimmte Anzahl Kreditpunkte. Hat er ge­nügend »Credits« ge­sammelt, ist er examensreif, wird sich stolz »Bachelor of Deutsche ­Language« ­nennen können und ist zunächst arbeitslos. Denn erst wer Bachelor ist, hat überhaupt die ­Chance, zum begehrten ­»Master« bzw. ­»Husband« aufzusteigen und vom Arbeits- bzw. Heiratsmarkt akzeptiert zu werden.

 

Die neuen Studiengänge werden dabei mit atemberaubender Geschwindigkeit ­absolviert. Der dreißigjährige Bummel­student, der im vierzigsten Semester Orchideenzucht und Walfang studiert, ist ein Zerrbild von gestern. Das Zerrbild von ­heute ist der neunzehn­jährige Fummelstudent, der nach zwei Semestern Studium (BWL, Verblendung und Infotainment), dreijährigem

 


 

»Strukturschwäche in der Unterhose«

 


 

Auslandsaufenthalt, sieben gehörten Fremdsprachen und zwanzig Jahren Berufs­erfahrung von ­Headhuntern umgarnt wird, um dann bis zu seinem Lebensende für das Unternehmen den Head (Kopf) hinhalten zu können.

 

Die Studierenden selbst nehmen kaum wahr, wie sehr sich ihre Lebensbedingungen von denen früherer Generationen unter­scheiden, lacht der Bildungsforscher Peter Ausge­dachter-Nachname. Viele seien durch die ­in­zwischen stark verschulten Lehrveran­staltungen und das beschleunigte Bachelor-Studium zeitlich so sehr gebunden, daß Schlafen, Atmen und Nachdenken niedrige Priorität haben und in den Ferien nach­ge­-holt werden – wenn überhaupt. Die Zeit ist oft so begrenzt, daß viele Studenten meh­rere ­Veranstaltungen gleichzeitig belegen: Sie bitten Kommilitonen darum, in der Mensa für sie mitzuessen, auf der Toilette für sie mitzupinkeln und bei Partys auch ­ihren ­Namen in die Anwesenheitsliste einzu­tragen.

 

Den größten Einschnitt in den studen­tischen Alltag stellten zweifelsohne die Studienge­bühren dar. »Das sind 500 Euro, die im Portemonnaie der Eltern fehlen«, sagt Ausgedachter-Nachname. Die Gebühren sind allerdings nicht ausschließlich negativ besetzt. Be­sonders ­ Studenten, die Aufgeblähte-Verwaltungswissenschaften studieren, freuen sich auf die vielen neu ent­standenen Jobs bei der ­studentischen Gebühreneinzugs­zentrale; ­besonders ausge­fuchste BWLer bieten ihren Kommilitonen bereits jetzt Klein­kredite an (Zigaretten, Notizpapier, Münzen zum Kopieren).

 

Angesichts der neuen Belastungen blüht das Sozialleben der Studenten auf: sich ­gegenseitig die Bücher verstellen, Kopier­vorlagen aus dem Semesterapparat klauen, mit »lieben« Freunden auf einen 3 vergifteten Kaffee gehen – auch nach der Vorlesung bleibt noch genug zu tun, um lästige Konkurrenten auszustechen und die eigene Halbwertszeit zu erhöhen. »Man tut, was man kann. Gottsei­dank kann ich nichts«, schmunzelt ­Manuel und würgt an seinem Kaffee.

Klagen über die Lebensbedingungen der »Generation Praktikum« kommen überraschen­derweise nicht von den Studenten, sondern von Vertretern der Wirtschaft: »Hochqualifizierte Akademiker, die für ein Taschengeld arbeiten, sind eine große psychologische Belastung für die Unternehmen«, meint der Wirtschafts­fuzzi Peter Fuzzi. »Irgendwann kommen die Studenten nämlich darauf, wie ­grauenhaft die hier ausgebeutet werden. Dann ist das Geschrei natürlich groß und die Revolution nicht weit. O Gott, ich freu mich schon so!«

 

Auch die Rolle der Professoren verändert sich, vom Bild des kauzigen Stubengelehrten ist nicht mehr viel übrig. Viele Hochschullehrer ­verstehen sich heute als Dienstleister, so etwa, wenn sie nach der Freistellung bei Lidl neu anfangen. Die meisten sehen der Hochschulreform mit gemischten Gefühlen entgegen, z.B. Haß gemischt mit Wut. Hanspeter Peterhannes, Dozent in den Fächern Heimat- und Sachkunde, resümiert: »Kein Mensch weiß, was Bachelor und Master überhaupt wert sind.« Die alten Abschlüsse hingegen, wie Diplom, Magister oder Hausratversicherung, seien heute ihr Gewicht in Gold wert. »Aber was bringt so ein DIN A4-Blatt schon auf die Waage? Ein paar Gramm!«

 

An den Hochschulen hat insgesamt ein Generationenwechsel stattgefunden: die 68er sind weg – inzwischen schon seit 39 Jahren. Aktuell schreibt man das Jahr 2007, auch »07« genannt. Die Nullsiebener sind un­politisch, Protestaktionen gibt es an den Hochschulen nicht mehr; statt dessen sind Demos und organisierter Widerstand an der Tagesordnung. Idyllische Szenen, wie man sie sich vor vierzig Jahren kaum hätte vorstellen können.

 

Der Erfolg des neuen Hochschulmodells ist vor allem auf einen Namen zurückzuführen: Satan. Die engagierte Bundesbildungs­ministerin Annette Satan (Name wird z. T. anders geschrieben) hat schon als ­baden-württembergische Landesministerin der ­

 


 

»Die betroffenen Stellen einreiben, ca. 10 Minuten einwirken lassen«

 


 

Kabinette Teufel II, Teufel III und Luzifer IV der Hochschulpolitik ihre eigene Handschrift aufgedrückt, etwa wenn sie Regierungs­beschlüsse unterschrieb. »Die Zukunft der jungen Generation ist unser aller Zukunft«, faselt die verhärmte Schreckgestalt heute, wenn sie Kinder in ihr Knusper­häuschen lockt. Satan gibt sich kämpferisch, hat schon mehreren Kritikern die Nase ­gebrochen: »Man hat mir vorgehalten, aus den ehemals selbständigen Universitäten lebensfeind­­liche Kaderschmieden zu ­machen, in denen jeg­liche Freiheit allmählich erstickt wird. ­Warum fällt es vielen so schwer, das als Chance zu begreifen?«

 

Manuel Drucks jedenfalls hat die Zeichen der Zeit verstanden. Er will sein Studium wenigstens zum Teil im Ausland absol­vieren, hat dazu viele seiner Organe an die ukrainische Mafia verkauft – auch zur Gegen­finanzierung der Gebühren. Würde er sich noch mal entscheiden, ein Studium an­zu­fangen? Manuel humpelt zu seinem Schreibtisch, blickt lange und trübsinnig drein. Er ist stiller und nachdenklicher geworden, seit sein linker Schläfenlappen auf eine ­ukrainische Adelige verpflanzt wurde. Der »Brain Drain«, der deutschen Geist ins ­Ausland zieht, bleibt ungebrochen. Doch ob Manuel eines Tages hinterherziehen oder weiter kata­tonisch ins Leere stieren wird, bleibt ab­zuwarten.

 

Leo Fischer

ausgewähltes Heft

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt