Inhalt der Printausgabe
Zonen-Gaby darf nicht sterben
Auf den Spuren der letzten Exemplare der Gemeinen Zonenfrau
Neun Stunden hatten wir im Thüringer Wald verbracht, neun Stunden Langeweile und Durst. Widrigste Umstände, die wir nur durchstanden, weil es im Büro noch schlimmer gewesen wäre und wir auf sensationelle, seltene Bilder einer Art hofften, die praktisch nur noch in Krawalltalkshows und auf Nazitreffen, aber kaum noch in freier Wildbahn anzutreffen ist: die Gemeine Zonenfrau (mandy vulgaris). Neun Stunden, in denen wir uns ausschließlich von Nordhäuser Goldkrone und mitgebrachten Snickers Cruncher ernährten, nur um tagelang auf der Lauer zu liegen, ohne eine der vom Aussterben bedrohten Frauen anzutreffen.
Zwischen 1990 und heute ist der Bestand dramatisch zurückgegangen: Von ursprünglich acht Millionen sind nur noch knappe 1000 übriggeblieben, die sich in den Ebenen zwischen Ostsee und Erzgebirge verlieren. Als Gründe vermuten Experten verbaute Nistplätze, impotente Männchen und insgesamt schwindende Ressourcen. Die zurückgelassenen Männchen zeigen sich hilflos, versammeln sich an Tankstellen und werden anderen Arten gegenüber aggressiv (z.B. bimbo exiliis).
Eine Entwicklung, die wohl nicht aufzuhalten ist. Um so wichtiger deshalb, die letzten Exemplare der Gemeinen Zonenfrau im Bild festzuhalten, solange es sie noch gibt. Spaziergänger hatten von einzelnen Exemplaren im Thüringer Wald berichtet; ausgerüstet mit Fotohandy und Playstation, hatten wir uns auf den Weg gemacht und uns mit Jogginganzug und Bierbauch als Ostmännchen getarnt.
Wir entdeckten die Ostfrauen dann doch noch, als wir eines Nachts zum Kotzen auf den Hotelparkplatz gingen. Da standen sie, sechs, sieben Exemplare im Schein trüber Neonlaternen, und ästen scheu Amicelli. Unverkennbar das breite Schnattern und Kichern, unübersehbar die typischen Arschgeweihe und das plissierte Kopffell. Es handelte sich um geschlechtsreife Exemplare, wie man an den Piercings durch Löffel und Blume zweifelsfrei erkennen konnte. Wir pirschten uns bis auf wenige Meter heran, Fotohandy und Playstation im Anschlag, bis wir verstehen konnten, worum es bei der Gruppenkommunikation ging: offenbar um Fortpflanzung und Schuhe sowie einen gewissen Maik »Hammer« Hölzl, den die Arbeitsagentur wohl vom Alphatier zum Gammadackel heruntergestuft hatte. Pech im Glück: Der Wind drehte sich, und die Weibchen nahmen unsere Witterung auf (Very Old Spice, Tabac Original [Fälschung]) – Sekunden später waren sie im Unterholz verschwunden, zurück blieben nur leere Amicelli-Verpackungen und F6-Kippen sowie ein paar Schatten auf der Speicherkarte unseres Fotohandys.
Um die Gemeine Zonenfrau anzutreffen, muß man genau über ihre Verhaltensweisen Bescheid wissen: Tagsüber streift sie in kleinen Rudeln durch Supermärkte und besucht pro Mondphase einmal einen nahegelegenen Friseur. Abends sucht sie Zuflucht in größeren Gruppen, in deren Schutz nach einem passenden Partner gesucht wird, etwa in Diskotheken oder auf dem Rummelplatz. Doch das Angebot geeigneter Männchen ist in den vergangenen Jahren aufgrund beständig kleiner werdender Futterplätze zurückgegangen. Immer mehr Weibchen streifen deshalb auf Partnersuche in weit abgelegene Regionen und finden oft nicht mehr den Weg zurück.
Nützlich ist es überdies, einen Ortskundigen dabeizuhaben, der die Futter- und Nistplätze der Gemeinen Zonenfrau aus dem Effeff kennt. Maik »Hammer« Hölzl verfügt außerdem über genug Tagesfreizeit und wird von den verbliebenen Zonenfrauen geduldet und nicht als Bedrohung empfunden: »Die nähm misch eh ni örnst, dä Düssn!« (Dialekt ähnl.) Unter seiner Führung erkunden wir ein nahegelegenes Freibad, bevorzugtes Rückzugsgebiet der Zonenfrau an heißen Tagen. Ohne Scheu stellen die Frauen ihre, wie der Fachmann sie nennt, »Düdln« zur Schau, um paarungsbereite Männchen anzulocken – dieses Verhalten ist angeboren und führt jetzt, wo ausnahmslos rangniedere Männchen das Revier bevölkern, natürlich zu Konflikten, wenn die sogenannten »Luschen« sexuelle Ansprüche geltend machen, die ihnen nicht zukommen. Die Weibchen reagieren mit Abwehrlauten: »Moch disch vöm Aggör, dü Spannör!« Meistens muß es dann aber erst zu Handgreiflichkeiten kommen – die Zonenfrau macht dabei Gebrauch von primitivem Werkzeug (Handtasche) –, bevor die unterlegenen Männchen das Weite (Kiosk) suchen. Hier zeigt sich, warum die Gemeine Zonenfrau in ihrem ursprünglichen Lebensraum vom Aussterben bedroht ist: Der größere Teil der Population hat sich, vertrieben von aggressiven rangniederen Männchen, schon neue, weiter westlich gelegene Reviere gesucht, der Rest will sich nicht auf Autorücksitzen oder bei laufendem DVD-Gerät paaren.
Maik Hölzl fürchtet sich sichtlich vor der aufgescheuchten Gruppe und zerrt uns zurück ins Gebüsch. Bereitwillig zeigt er uns die Kratzspuren, die seine letzte Begegnung mit einem läufigen Weibchen hinterlassen hat. Sein typisches Balzritual: sich erst vollaufen lassen und dann eine Einladung zur Schlägerei nach dem Kreisligaspiel aussprechen, traf auf vollkommenes Desinteresse, die Zonenfrau vertrieb den brünstigen Prolo mit unlackierten Krallen, wie sie kennzeichnend sind für Exemplare, die sich mit sozial höher rangierenden Männchen zu paaren beabsichtigen.
Wir wagen ein Experiment und legen zwei Eintrittskarten für die Job- & Qualifizierungsbörse in Düsseldorf gut sichtbar unter die Autoschlüssel eines Mercedes. Geduldig warten wir im Unterholz, bis nach zwei Minuten ein vielleicht zwanzigjähriges Weibchen nicht einmal scheu heranschleicht, sondern einfach zugreift und mit unserem Auto Richtung Westen davonfährt. Dieser Versuch zeigt sowohl das streng zielgerichtete Verhalten der Zonenfrau, die sich veränderten Umweltbedingungen deutlich besser und vor allem schneller anpaßt als die Männchen in ihrer Umgebung, als auch die fehlende mentale Stärke Stefan Gärtners, der seinem davonfahrenden Jahresgehalt lauthals hinterherschreit.
Spätestens nach diesem Experiment wissen wir: Die Gemeine Zonenfrau ist nicht mehr zu retten. Wer hofft, freilaufende Exemplare weiter westlich anzutreffen, wird über kurz oder lang enttäuscht werden: Nach kurzer Zeit im neuen Revier hat die Zonenfrau Aussehen und Verhalten ihrer nächsten Verwandten, der Westlichen Erfolgsfrau (tusnelda carrieris), so perfekt kopiert, daß selbst Experten eine Unterscheidung kaum noch möglich ist.
Gärtner/Nagel, Hintner