Inhalt der Printausgabe

Microsofts neuestes Betriebssystem im Wintercheck

Willkommen, Windows Vista!

Das hat sich Bill Gates mal wieder prima ausgedacht: Pünktlich zum Anstieg der Mehrwertsteuer, der Erhöhung des Meeresspiegels, dem langsamen Abschied von George W. Bush und dem quälend langsamen Abschied von Sabine Christiansen bringt Microsoft Anfang 2007 ein neues Betriebssystem, das alle fünf Probleme auf einen Schlag lösen soll. Aber tut es das wirklich? Leider muß man sagen: ja.

Und so konnte kein Betriebssystem mit saftigerem Vorschußlorbeer wedeln als das neue Vista. Benannt nach dem zu Recht vergessenen »Vista«-Projekt von 1951, in dem geheime Wissenschaftler das strategische Vorgehen der USA bezüglich der Wasserstoffbombe diskutierten, stellt es die dritte Personalcomputer-Modernisierung seit den Roaring Fifties dar. Durchschlagendste Neuerung gegenüber dem Atari ist gewiß die Möglichkeit, Signalwörter nicht nur fett und kursiv auszudrucken, sondern Unterstreichungen bereits vor Drucklegung sichtbar zu machen: so wie hier, pardon: wie hier natürlich, ja herrgottnochmal!: hier. Ungewohnt, aber gar nicht mal so hyperpraktisch: Wenn ein Wort nicht mehr gefällt, kann man’s nun pechschwarz markieren und anschließend löschen [Entf], doch Achtung: Die Unterstreichung ist dann meistens auch weg.

Beispiel gefällig? Nehmen wir den beliebten Angebertopos »kosmisches Hintergrundrauschen«. Unterstreicht man ihn versehentlich nur halb, sieht’s vielleicht so aus: Hintergrundrauschen. Markiert und löscht man nun aber die Silben »grundrau«, bleibt Hinterschen übrig, obwohl’s natürlich Hinterschinken heißen muß, sogar »kosmischer Hinterschinken«, ein bei Gott fetter und bei -279 Grad Celsius gut haltbarer Fleischhaufen, den sich die Menschheit zwar nicht leisten, aber dank Vista nun immerhin ausdrucken kann – und sogar in Grün! Pardon: Blau. Leider sind in der deutschen Version die Farbtasten so böswillig vertauscht, daß erste Klagen laufen.

Neue Features

Der optisch und klanglich neugestaltete Kalender bietet erstmals die Möglichkeit, Termine auch von Gruppen zu verwalten, so daß speziell Gruppenreisen nun direkt am Desktop planbar sind. Das Handling scheint anfangs ein wenig kompliziert, erklärt sich nach einigen Probeläufen aber von selbst: Die Mitreisenden treffen sich beim Alpha-User, tippen Zeitraum und Ziel der Reise in den Kalender ein, notieren sich’s auf einen gelben Haftzettel, und schon heißt es eines schönen Tages: packen, Geld abholen, ab nach Rügen, fertig. Damit nicht länger nur verwöhnte Subnotebookkids frei entscheiden können, wann und wo sie arbeiten, darf man unter Vista endlich auch gewöhnliche PC-Systeme mit an den Strand nehmen – neidische Avancen dürften einem sicher sein.

Übereinstimmend berichten User/innen, daß leichte Frauenromane und heitere Limericks unter Vista deutlich besser »fluppen« als bei XP, das ja für eine gewisse Ernsthaftigkeit bekannt war und Komiker wie Grass und Markwort regelmäßig zur Verzweiflung trieb. Nur der Buchhandel sieht’s mit gemischten Gefühlen, da Sachbücher nach wie vor mehr Umsatz machen als noch so endgeile Lyrikhämmer.

Durchdachter und gleichzeitig was völlig anderes ist das umfassende Begrüßungscenter. Es ist geräumig, angenehm temperiert, Säfte gibt’s für Bahn-Comfort-Kunden kostenlos,und dank der Neuerfindungen Uhr, Geschlechterkennung und Dresdner-Bank-Wetterbericht weiß der Computer nun, wann’s draußen regnet, und begrüßt die Hausfrau entweder mit »Hallo, Liebster! Regenschirm nicht vergessen!« oder einem genervt-desinteressierten »Tach«, je nachdem, mit welcher Laune er am Morgen hochgefahren ist.

Sahnebonbon für User zwischen zwei und sechs Jahren: Im neudesignten Startmenü taucht der Punkt Spiele auf; ein Klick auf die rechte Maustaste, schon darf das Kind in den Garten und rutschen, schaukeln oder Sandkasten, halt wie’s dem kleinen Kacker gerade paßt. Die Harddisc springt dann erst wieder an, wenn die Eltern zum Dinner rufen und der PC sich mit klassischer Musik aufs abendliche Amoksex-Surfing einstimmt.

Blinde User werden sich über den vereinfachten Wireless LAN-Zugang kaum freuen, da sie Kabel sowieso nicht sehen können, haha!, pardon – prima aber allemal die behindertengerechte Möglichkeit, die mitgelieferte Vista-Pünktchen-Tastatur so einzustellen, daß auf dem Bildschirm gleichfalls Pünktchen sichtbar werden und so der User blitzschnell kontrollieren kann, ob er alles richtig geschrieben hat, etwa per Fingerdruck auf den hochempfindlichen LCD-Bildschirm.

Und auch Sekretärinnen kommen nicht zu kurz: Vista bietet neuentwickelte Filter für alle gängigen Bohnensorten und transportiert automatisch alle Kaffeepackungen, die älter als ein Jahr sind oder eher selten getrunken werden, in den leider etwas feuchten Zwischenspeicher. Wer stilvoll servieren will und 1000 Euro drauflegt, erhält einen hyperleichten zweigeschossigen Tablet-PC mit vierrädiger Scroll-Funktion, Touch-Screen-Glasböden und, damit auch mal etwas verschüttet werden kann, ultrasaugfähigem Vista-Wisch&Weg.

Noch mehr Schutz und Sicherheit

Diesbezügliche Weiterentwicklungen werden vor allem alleinerziehende User freuen. So überwacht eine brandneu konzipierte Firewall neben dem eingehenden erstmals auch den ausgehenden Verkehr und überträgt ihn aus dem Jugendzimmer direkt in die gute Stube, wahlweise Muttis Handy; die erforderliche Luxus-Webcam ist zwar gratis, kostet aber 480 Euro – ein Widerspruch, den Microsoft bis zum Herbst 2014 lösen will. Hilfreich für bisherige XP-User mit Service Pack 2: Läuft der Verkehr in ungeschütztem Modus, piepst der Windows Defender augenblicklich wie verrückt, die Zimmertür springt kreischend auf, und der neue Protection Client Agent, in diesem Fall vermutlich der Apotheker um die Ecke, offeriert Kondome und Spiralen aller Farben und Geschmacksrichtungen, wobei Anfahrten unter 10 Euro vom freundlichen Outlook Express © übernommen werden. 

 Relativ umstritten ist die Option Dateibewertungen. Welche Fotos, Musik, Netzseiten, Humoresken und sogar einzelne Absatzschlußpointen gut und welche mißlungen sind, entscheidet künftig der Computer und schmeißt letztere ohne Vorwarnung in den Papierkorb. Apropos Papierkorb: Bei den im November ausgelieferten Probe-Vista-ROMs ist er aus Versehen via Werkseinstellung rammelvoll, so daß sich bereits etliche User über Würmer, bösartige Maden und teils meterhohe (!) Schimmelbildungen, ja ganze Rattenpopulationen

Multimedia

In diesen Bereich wurden offenbar die meisten Energien investiert, und es hat sich gelohnt. Mit der neuen Vollbedienungsoberfläche Windows Media Center läßt sich nicht nur gleichzeitig Musik hören (mit anderen), sondern auch alleine gleichzeitig Musik hören und tanzen, vorausgesetzt, man hat einen Kopfhörer im Ohr, einen MP3-Player im Maul und trägt keinen schweren Maxi-Tower, sondern einen leichten Mini-Rock mit BDA-Treiber, Pay-TV-CI-Unterstützung und Free-to-Air-Karte mit CableCard-Support.

Überdies wurden die Effekte des Movie Makers von 49 auf insgesamt 51 erhöht, so daß das Anschauen von TV- oder DVD-Aufzeichnungen im MPEG-Format nun ebenso möglich ist wie das Schneiden bzw. »Schneiden«, also das selbständige Cutten wie auch komplette Ignorieren oder besser: bewußte Umgehen eines Films. Wer dieses will, dem rät Vista, den Film tatsächlich einfach nicht zu kucken oder, so dies unmöglich ist, nur ein bis zweimal, dann aber möglichst vor dem Schlafengehen.

So gelungen wie uninteressant: Die auf BASF-Mono-Cassetten aufgenommene Hausmusik vom Weihnachtsabend 1963 kann über den neuen Video Player nun zwar analog angeschaut werden, hören tut man aber zum Glück noch immer nix, und so soll’s laut Gates auch bleiben. Recht störanfälllig bleibt dafür weiterhin die Energieverwaltung: Ein Biß des bis zu sechs Meter langen und tausend Kilo schweren Kaviar-Ungetüms ins zentrale Kabel, und schon ist

Moral

Nicht alle Menschen werden vollautomatisch auf Vista umsteigen, dafür sind u.a. die nun am rechten Desktoprand in der erweiterten SideBar offerierten Longdrinks selbst für Afrikaner schlicht zu teuer: 6,20 Euro für den vom (recht lauten) Kühler handwarm gehaltenen Mojito sind auch dann zuviel, wenn man sie natürlich nicht real zahlen muß, ihn aber natürlich auch nicht wirklich trinken kann – die Minze schmeckt wie von XP, das Eis ist alles andere als gefroren, und nicht nur bei Subnotebooks wirkt der erstmals dreidimensionale Strohhalm leider etwas kurz. 

 

Hat Microsoft also erneut am falschen Ende gespart? Unser Eindruck: Mag sein, muß aber nicht. So daß zuallerletzt doch wieder Sie entscheiden müssen. Wir haben getan, was wir können.

Thomas Gsella/Stephan Rürup

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg