Humorkritik
(Seite 6 von 8)

Vom freien Willen

Daß die Tagespresse mit ihrem gedankenfreien Sprachschrottausstoß meinem Spezialsammelgebiet - unfreiwillige Komik - unermüdlich inflationären Nachschub zukommen läßt: geschenkt. Wenn etwa ein Redakteur des von mir immer wieder mit Genuß als Quassel-Quelle rekrutierten Göttinger Tageblatts unter der erdrückenden Einwirkung von Termindruck, Provinzfrust, Alkoholmißbrauch, Gedankenlosigkeit bzw. einem Mix aus all dem etwas wie das folgende hintippt, ist es eben einfach lokalpostillengemäße Normerfüllung: "Neu im Vorstand ist Ralph Schneider, der als Stellvertreter für den Vorsitzenden Dr. Achim Block fungiert. Er tritt an die Stelle von Ralph Schneider, der weiterhin für die Presse zuständig ist." Brav.
Genauso häufig, hingegen weit weniger erklär- und entschuldbar, sind die Formen unfreiwilliger Späße, die die hehre Hochliteratur aufbietet, eben weil sie solches zu sein beabsichtigt. So ad exemplum der Bin-ich-das-Arschloch-der-achtziger-Jahre-Boxer-und-Nutten-Apologet Wolf Wondratschek, der in seinem neuesten Buch "Mozarts Friseur" (Hanser) drauflos kryptisiert: "Der freie Wille hat das Gesicht eines geköpften Chinesen, der nicht aussieht wie einer, der etwas vermißt." Noch weniger als solchen Unfug vermißt mein freier Leserwille Wondratscheks Versuche beabsichtigter Komik. Wenn er eine Figur charakterisieren möchte, indem er kalauert, daß sie Fellatio für Hamlets Bruder halte und Shakespeare auf der Getränkekarte suche, macht derlei Witzelei die Sache auch nicht besser. Nein, wirklich nicht.


   1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8