Briefe an die Leser
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Judith Hermann Judith Hermann!
In zahlreichen Interviews haben Sie die Öffentlichkeit darüber informiert, daß Sie (32) nach Ihrem Debütwerk ("Sommerhaus, später") Mutter geworden sind. Anläßlich des Erscheinens Ihrer neuen Erzählungen sind Sie in einem Interview mit der Welt noch etwas tiefer in die Materie eingestiegen: "Ich habe dann ein Kind bekommen … Ich dachte, nun könnte ich ganz entspannt sein bis Anfang Februar, aber tatsächlich lag ich erst mal eine Woche mit Grippe im Bett … Ich habe mein Kind in den Kindergarten gebracht und bin anschließend, wie immer, einen Kaffee trinken gegangen" und so weiter und so weiter. Für ein Pauschalhonorar von 10000 Euro monatlich würden wir Ihnen künftig alle lästigen Interview-Termine abnehmen und stellvertretend für Sie antworten: "Oh, ich habe dann noch ein Kind bekommen … Ich war ganz entspannt, aber dann hatte ich eine Woche lang Halsweh und Durchfall … Da bin ich erst einmal ein Eis essen gegangen und hinterher zu Hause die Treppe rauf, ich wohne ja im fünften Stock, und dann habe ich mir einen Halswickel machen wollen aus den Strümpfen von meinem Ex-Freund, aber dann rief die Frau vom Kindergarten an und sagte, ich müsse mein Kind eine halbe Stunde früher abholen als geplant. Da habe ich mir aber erst mal die Zähne geputzt und mir einen Früchtetee aufgesetzt und darüber nachgedacht, daß es doch seltsam ist, daß ich als Bestseller-Autorin auch noch so einen großen Haufen von Stipendien nachgeschmissen bekommen habe, wo man doch eigentlich meinen sollte, daß Stipendien für Leute gedacht wären, die das Geld gut gebrauchen könnten, und da hab ich mich erst mal neun Stunden lang fotografieren lassen und mir einen Kaffee gekocht und mich mit Windpocken ins Bett gelegt…"
Top? Titanic


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