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Ein halbes Jahrhundert Verdummung

"Die Sendung mit der Maus" sorgt seit 50 Jahren für Verheerungen in den Köpfen unzähliger Kinder. Zum runden Geburtstag die Abrechnung mit einem verklärten Format, das von zweifelhafter Ideologie nur so trieft und immer weiter ungehindert in unsere Gesellschaft sickern darf. Von Moritz Hürtgen

Digimon, Dragon Ball Z, das Traumschiff – drei TV-Sendungen für Kinder, bei denen man ein vernichtendes Urteil schnell und bequem zur Hand hat: Schund, Verblödung, bitte abschalten. Hochheilig ist den Deutschen hingegen, was sonntags um halb zehn im Ersten und um halb zwölf noch einmal bei KIKA läuft: die Sendung mit der Maus. Manche Eltern, darunter Akademiker wie Handwerker, lassen ihren Spross ohne Bedenken beide Ausstrahlungen gucken. Doppelt hält besser, schadet ja nicht.

Und es schadet doch: Die "Maus" ist seit 50 Jahren so problematisch, ihre Auswirkungen sind so fatal, man weiß überhaupt nicht, wo man anfangen soll. Beginnen wir mit den sog. Lachgeschichten. Über die Sendung verteilte Einspieler verschiedener Subgenres des Zeichen- und Trickfilms, und einer schlimmer als der andere: Der "kleine Maulwurf"? Eine verstörend tschechische Tierfigur, die sich nicht zufällig auch im Unrechtsstaat DDR größter Beliebtheit erfreute. Der berüchtigte "Käpt’n Blaubär"? Ein manipulativer Lügner ohne jeden moralischen Kompass. Neuerdings darf sogar ultrakapitalistischer Schweinkram wie "Peppa Wutz" als Lachgeschichte herhalten. Den Verantwortlichen beim WDR gefällt’s anscheinend. Fernsehsendungsbewusstsein? Fehlanzeige.

Ein weiteres Element der im Übrigen mit Rundfunkgebühren geförderten Sendung sind Maus-Spots, die Zeichentrick-Clips mit den Hauptdarstellern Maus und Elefant. Außerdem meist im Mittelpunkt: ein zu lösendes Problem, ein zu überwindendes Hindernis, ein Ärgernis, das beseitigt werden will. Ganz recht: Hier wird Kindern jede Leichtigkeit ausgetrieben, Naivität und Sorglosigkeit dürfen nicht einmal bei der Zerstreuung vor der Flimmerkiste ihren Platz behalten. Und wie lösen Maus und Elefant ihre vielen Probleme? Mit Körpereinsatz, mit Elefantenrüssel und Mauseschwanz. Körperkult, Optimierungswahn, Selbstkasteiung und manches Mal – wenn die Maus sich etwa ihren Schwanz einfach abzupft, um ihn als Wäscheleine zu verwenden – kommt noch eine verstörende Portion Bodyhorror hinzu. Das Format richtet sich bereits an Vorschulkinder, wohlgemerkt.

Seit 50 Jahren nah am Schweinesystem

Das Zentrum der Zerstörung stellen allerdings die Sachgeschichten dar. Die Großväter dieser Rubrik, Armin Meiwes Maiwald und Christoph Biemann, laufen bis heute frei herum, geschmückt mit dem Bundesverdienstorden. Was lernen die "Kids" in den Sachgeschichten? Wie die Müllabfuhr arbeitet, wie Joghurt abgefüllt wird und warum ein Airbus fliegt. Was lernen sie nicht? Warum der Müll nach Malaysia verschifft wird, wem die Joghurt-Fabrik gehört und an welche Staaten die Airbus-Militärsparte ihr Kriegsgerät liefert. Mit einem Busfahrer dürfen die Kinder solange sympathisieren, wie er von seinem Fahrersitz artig Armin und Christoph grüßt – beim Arbeitskampf, beim Streik begleiten sie ihn nicht.

Das war und ist die Sendung mit der Maus: Ein Kinderhort von calvinistisch-kapitalistischer Arbeitsethik, ein Naivitäts- und Träumezerstörer, ein seit 50 Jahren immer weiter ausgerollter ideologischer Teppich, der in letzter Konsequenz in den schwarzgrünen Alptraum führen muss, der als nächste Bundesregierung unausweichlich scheint. Lassen wir die Maus also weiter gewähren? Neben Maiwald und Biemann sind längst jüngere Caspers als Moderator*innen beauftragt, den Maus-Stoff pfiffig auch über Social-Media an die Jugend zu bringen. Es muss und sollte jetzt ein Ende haben. Wir sind es unseren Kindern schuldig.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt