Artikel

Wie werde ich ... Humanpräparator?

Menschen ausstopfen ist eine Kunst, die erlernt werden will. Die Kundennachfrage steigt.

In der Fußgängerzone steht reglos ein Mann und starrt Vorbeiflanierende mit weit aufgerissenen Augen an. Aus dem Fenster eines Mehrparteienhauses schaut eine Frau mit seelenlosem Blick, rührt sich nicht vom Fleck. Menschen wie diese sind natürlich noch lebendig – doch was wird nach ihrem Ableben sein?

Seit Jahren mehren sich die Erfolge, verstorbene Menschen zu präparieren (vulgärdeutsch: auszustopfen). Gut geschulten Humanpräparatoren gelingt es mit viel Herzblut, sie lebensecht für die Nachwelt zu konservieren. Noch im 19. Jahrhundert konnte sich jeder Kurpfuscher, jeder Bastellehrer Humanpräparator nennen. Heute ist dies ein geschützter Ausbildungsberuf, erlernbar etwa am Gunter-von-Hagens-Kolleg in Wilhelmshaven.

Das Handwerk ist komplex und bedarf vieler Arbeitsschritte. Zunächst wird der frische Leichnam gewogen und vermessen. Dann wird er mit einem Brieföffner aufgeschlitzt, alles Organische mit Schöpflöffel und Pinzette herausgenommen (fachsprachlich: "entfleischt") und in einen großen Eimer geschmissen. Auch Anorganisches – von künstlichen Hüften über Herzschrittmacher bis Bleireste – wird entfernt und alles sinnvoll weiterverwertet, Stichwort Upcycling: Fettpolster gehen an örtliche Polstereien, Silikonimplantate gen Silicon Valley. Zum Schluss werden die Augäpfel entfernt, mit Schaumzucker angedickt  und als "Essbare Augen" an den Süßwarenhersteller Trolli GmbH verkauft.

Hinterbliebene haben an ihrem Präparat (rechts) oft jahrzehntelang Freude.

 

Das so entstandene Haut-und-Knochen-Gerüst wird anschließend mit reichlich Glaswolle, zusammengeknüllten Zeitungen, Wackersteinen und was noch so herumliegt wieder aufgefüllt, bis der Körper seine alte Form und Festigkeit zurückerhält. Mit einem Speziallack aus Holzfinis, Formaldehyd, Eidotter und Deadbodylotion der Marke Nivea wird die Außenhaut dauerhaft haltbar gemacht.

Der Job des Präparators verlangt viel Fingerspitzengefühl und Geduld – vor allem mit den Auftraggebern. Denn mit diesen gilt es, sämtliche Details zu entscheiden, je nach Vorliebe und Geldbeutel der Hinterbliebenen: Ein Set hochwertiger Glasaugen aus der Puppenmanufaktur Käthe Kruse oder sog. "Glitzer-Glotzis" von Amazon zu 19,90 Euro? Auf Wunsch wird der Leichnam noch ein wenig optimiert: Eine knollige Nase abgeschliffen, Brüste großzügig ausgepolstert oder Denkerfalten posthum eingraviert.

Humanpräparation ist viel mehr als ein schnödes Handwerk: "Der Job hat sehr viel mit Kreativität zu tun", betont Elias Heitmann, Professor für forensische Ästhetik an der FH Heidelberg. Denn auch auf akademischem Wege kann man sich diesem Beruf nähern. Gestaltungsspielraum bietet etwa die Frage, in welche Körperhaltung der präparierte Leib bugsiert werden soll: Aufrecht wie ein belarussischer Leibgardist, in postmoderner Hampelmann-Pose, im Lotussitz oder gottselig knieend und betend? All dies wird im einfühlsamen Kundengespräch mit dem Auftraggeber besprochen. Auch Verwendungszweck und Bestimmungsort spielen hierbei eine Rolle: Dient das Präparat als witziger Hingucker im Hausflur, originelle Trophäe über dem Kaminsims oder sentimentales Eherelikt im Schlafzimmer?

 

Wer lebendig und wer ausgestopft ist, ist für den Laien oft nicht zu unterscheiden.

Einige Menschen finden diese Tätigkeit einfach nur "ekelhaft". Zum Beispiel 90 Prozent der Humanpräparatoren. "Was soll's, es bringt gutes Geld", verrät Heide Schmittchen, freiberufliche Meisterpräparatorin aus dem Sauerland: "Man wird den Ekelfaktor nie komplett verlieren, aber man wächst da rein." In der Gilde der staatlich geprüften Humanpräparatoren gelten ein paar ethische Tabus: Die verstorbene Gattin devot auf allen Vieren, auf den Rücken geschraubt eine Tischplatte – verschämter Wunsch einiger Witwer – ist für viele ein No-Go. Auch billige selbstklebende Wackelaugen vom Bastelladen lehnen ehrbare Präparatoren ab, ebenso den Einbau von Spieluhren oder künstlichen Sprechwerken ("Hallo. Ich mag dich. Ich bin doch nicht tot"). Und: Nur Körper bereits verstorbener Menschen kommen Stopfkünstlern wie Heide Schmittchen unter das Messer. "Nur richtig tot", das sei ihr wichtig.

Einige Präparatoren arbeiten nach der Ausbildung für Museen und Hochschulen, die meisten jedoch machen sich mit einem eigenen Gewerbe selbständig. Die Nachfrage ist enorm. Immer mehr Todgeweihte entscheiden sich selbst dafür, nach dem Tode ausgestopft zu werden. Grund, sagt Forensiker Elias Heitmann, seien Eitelkeit und die Angst vor Vergänglichkeit. Die Kosten einer Präparation variierten zwischen 3000 und 12 000 Euro und seien damit oft günstiger als eine Beerdigung – für preisbewusste Angehörige durchaus ein Argument.

Doch nicht nur die Nachfrage, auch das Angebot ist mittlerweile groß. So groß, dass manche Präparatoren mittlerweile auch namenlose Präparate von Unbekannten in ihren Online-Shops feilbieten. Nicht alle sind dabei eines unvermeidbaren Todes gestorben. "Das ist ein bissl ein Problem", raunt Marek Storch, Betreiber des Shops www.schnaeppchenpraeparate-billig.com auf Nachfrage. Der ein oder andere sei schon mal "versehentlich" von Hobbyjägern im Schwarzwald oder im Spessart erlegt. "Wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne", orakelt der erfolgreiche Online-Krämer und zeigt seine neuesten Angebote. Von "Junger Mann, liegend auf Sockel" bis "Rüstige Frau, montiert auch Baumwurzel" ist hier alles dabei.

Ella Carina Werner

 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg