TITANIC Gold-Artikel

"Der ’Schreiben nach Gehör’-Duden ist 15mal so dick" – Interview mit der Duden-Redaktion

Die neue Duden-Ausgabe ist da. Wurde "Cancel Culture" heimlich gestrichen? Heißt es der oder das Virus? Und warum kann niemand mehr "Es ist so weit" schreiben? TITANIC hat mit Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Duden-Redaktion, gesprochen.

TITANIC: Frau Kunkel-Razum, wie kommt ein Wort in den Duden?

Kunkel-Razum: Unsere Wort-Scouts sind immer auf der Suche nach neuen Palaver-Trends, auf der Straße, im Netz, im Warteraum, im Behandlungszimmer. Da kann es schon mal passieren, dass Sie jemand anspricht: "Entschuldigung, was haben Sie da gerade gesagt?" Dann werden noch Nutzerstudien durchgeführt: Lässt es sich gut aussprechen oder ist das Wort womöglich ein Zungenbrecher? Wenn es sich da bewährt, hat es gute Chancen auf einen Eintrag.

TITANIC: Auch viele aktuelle Wörter wie "Herdenimmunität" sind in der neuen Ausgabe zu finden.

___STEADY_PAYWALL___Kunkel-Razum: Klar, Corona hat Auswirkungen auf die deutsche Sprache und somit auf den Duden. In unserem "Deutsch für Journalisten"-Handbuch sind "Epizentrum", "Augenmaß" und sämtliche Wortspiele mit "mit Abstand" neu hinzugekommen. Wenn ein nachrichtliches Ereignis zum Erscheinungsdatum der Ausgabe schon länger zurückliegt, hat ein neues Wort allerdings auch schon mal Pech gehabt. Die "Tarncard", die Gratis-Bahnfahrkarte für Soldaten in Uniform, hat es zum Beispiel nicht geschafft.

TITANIC: Stammen viele neue Wörter aus den Massenmedien?

Kunkel-Razum: Einige ja, z.B. "tazzen", wenn ein Medium seinen Autor*innen nach einem Shitstorm in den Rücken fällt oder das Verb "fahrspuren", wenn absichtlich beknackte Tweets von AfD-Politikern wie bestellt von Medien weiterverbreitet werden. Andere Wörter kommen aber auch einfach aus dem Alltag, wie z.B. "karstädten", also ohne Kaufinteresse aus Prokrastinationsgründen durch Geschäfte schlendern, oder "seifenschmutzig" für den Zustand der Hände, wenn man sie sich auf der Zugtoilette eingeseift hat und dann feststellt, dass das Wasser leer ist.

TITANIC: Was hat sich noch getan?

Kunkel-Razum: Es gab noch eine Rückkehr eines Zombiewortes. Die von Fridays for Future haben "Waldsterben" wieder ausgegraben. Es lag schon eine Weile unter der Erde.

TITANIC: Sie meinen, Sie hatten das Wort schon vor längerer Zeit gestrichen?

Kunkel-Razum: Nein, es lag buchstäblich auf dem Wortfriedhof hinter der Duden-Zentrale. Sein Name wurde in korrekter Schreibung in den Grabstein eingraviert.

TITANIC: Das klingt aufwendig …

Kunkel-Razum: Wenn Sie das schon aufwendig finden, haben Sie wohl noch nie unseren Schüler-Duden "Schreiben nach Gehör" in der Hand gehabt. Er enthält sämtliche denkbaren Schreibweisen fast aller Wörter, inklusive der Dialektvariationen und ist 15mal so umfangreich wie der normale Duden. Da sind einige Pflichtpraktikantensemester ins Land gezogen, ehe der fertig war.

TITANIC: Da ist man bestimmt nicht böse, wenn auch mal das ein oder andere Wort schnell wieder verschwindet.

Kunkel-Razum: Richtig, das Jugendwort 2004 zum Beispiel: "Plärrstation" stand für ein technisches Gerät, meistens ein Handy, das Musik ohne Bass abspielt. Heute braucht man dafür kein Extrawort mehr. Dafür sind viele dieser Home-Wörter vor nicht allzu langer Zeit dazugekommen: Homeoffice, Homeschooling, usw. Auch bei uns wird übrigens viel von zu Hause aus gearbeitet, ist aber nur eine Kann-Regel.

TITANIC: Von zu Hause oder von zuhause aus?

Kunkel-Razum: Ersteres. Was es nicht leichter macht, wenn über jeden Kokolores tagelang debattiert werden muss. Dann nimmt man eben noch den "Zwinkersmiley" mit rein, damit Ruhe im Karton ist. Und am Ende des Tages – jawohl, das sage ich jetzt mal einfach so – heißt es bei extrem strittigen Fragen schon mal "beides geht". Das wiederum macht einige Leser erst recht ratlos, ja wütend. Man kann es eben einfach nicht richtig machen.

TITANIC: Immerhin ist die neue Ausgabe ja erst mal draußen. Können Sie jetzt ein bisschen chillen (im Duden seit 1998)?

Kunkel-Razum: Schön wär's, es warten aber noch der Querdenker-Duden und das Wortwitz-Lexikon.

TITANIC: Frau Kunkel-Razum, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Julia Mateus

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt