Vom Fachmann für Kenner | März 2008
Hab’s versucht
Mist, mein Sechsjähriger paßt nicht mehr in die Babyklappe.
Emily Wood
Sketch (Walter Benjamin zugeeignet)
Ein Betrunkener steht mit offener Hose vor dem Pissoir und fragt: »Is’ das einglich das Urinal oder nur ’ne Klopie?« Diese hervorragende kleine Sketchidee möchte ich meistbietend an einen TV-Comedian versteigern, am liebsten jedoch an den talentierten Markus Maria Profitlich. Bitte melden!
Mark-Stefan Tietze
Abschreckung
Bei uns auf dem Lande wird Altbewährtes noch geschätzt und über Intimes nicht gesprochen.
Die kleinen Kinder spielen mit Holzspielzeugen im Hof, die etwas älteren pirschen als Raubritter durch den Wald, während die Halbwüchsigen zum Schwanzvergleich noch aufs Foto-Handy verzichten und nach wie vor in ein Maisfeld gehen. Altbewährt ist aber auch, daß bei Verfehlungen, wie zum Beispiel einer eingeschossenen Fensterscheibe oder einer zu Tode gerittenen Sau, so eben noch menschenrechtlich vertretbare körperliche Züchtigung von Elternseite Anwendung erfährt. Meinem sechzehnjährigen Neffen Paul, einem echten Wildfang, blieben diese Prügelstrafen allerdings erspart, seit ich ihm vor drei Jahren riet, öfter mal ein Sadomaso-Magazin unter seinem Bett zu deponieren.
Volker Schwarz
Allerweltsnamen
Viele Meiers, Müllers und Schulzes beschweren sich darüber, daß ihre Namen absolut nichts hermachen. Finde ich, jetzt mal ganz persönlich, auch.
Thorsten Mausehund
Zur Präsidentschaftswahl
Das ist der Unterschied zwischen einer gelenkten Demokratie wie in Rußland und einer normalen Demokratie wie bei uns: In der gelenkten Demokratie gibt es auf dem Wahlzettel eine richtige Stelle fürs Kreuzchen. Bei uns nicht.
Boris Retzlaff
Frankfurter Küche
So sehr hatte er seinen Adorno gelesen, daß er nur noch Halb-und-halb-Knödel kochte (»Das Ganze ist das Unwahre«).
Lino Wirag
Urlaubsgrüße
Von dem verheerenden Tsunami Weihnachten 2004 hat sich Thailand erstaunlich gut erholt, und man kann mit Fug und Recht behaupten, daß der Tourismus dort nun wieder defloriert.
Arno Lücker
Disko in Köln
Fürs Ausgehen in Frankfurt am Main gilt: Einmal angelacht, gleich angemacht! Deshalb hat man es sich als Frankfurter Frollein angewöhnt, in der Disko nur selten zu lachen. Könnte ja falsch verstanden werden. In Köln heißt es aber: Einmal angelacht, gleich guten Tach gesacht! Und dabei sehen auch noch alle gut aus und riechen lecker. Wenn Männchen in Kontakt mit den Weibchen kommen wollen, fragen sie nach einem Kaugummi oder machen ein nettes Kompliment – ganz ohne Anfassen! Die Musik natürlich auch top. Fazit: Die Frankfurter Disko-Szene muß dringend reformiert werden, der Baß kann aber derselbe bleiben.
Anna-Karina Korn
Gute Beziehungen
Schade, daß man heute ohne Ritalin B einfach keinen Kindergartenplatz mehr bekommt.
Valeska Schuh
Pietät
An der elektronischen Tür unseres Supermarktes stand neulich eine alte Frau völlig ratlos vor den geschlossenen Türflügeln. »Was ist hier los?« fragte sie mich, ich aber antwortete nicht, sondern ging einen Schritt in Richtung Tür, die sich sofort öffnete. Dankend ging die alte Dame davon. Ich hatte ihr einfach nicht sagen können, daß sie im toten Winkel stand.
Uwe Geishendorf
Wellness
Meine Freundin meint, nach einem intensiven Workout im Fitnessclub fühle sie sich »wie neugeboren«. Warum sie nun aber jeden Monat soviel Geld ausgibt, um einem nackten, blinden, blutverschmierten Schreihals zu gleichen, bleibt mir schleierhaft.
Alexander Klank
Faith No More
Ein Kollege von mir, der in den neunziger Jahren bei einem Konzertveranstalter als Roadie arbeitete, erzählte mir, wie einmal bei einem Konzert von Faith No More im Zürcher Volkshaus ein muskulöser, mit allerhand Tätowierungen und unbekannten Drogen aufgepeppter Indianer auf dem seitlichen Saalbalkon herumwütete und er, der Kollege, vom Veranstalterboß den Auftrag erteilt bekam, diese Person zu beruhigen. Im Nu befand sich das eher schmächtige Bleichgesicht im Handgemenge mit dem Indianer, wurde von diesem an der Gurgel gepackt und rücklings mit dem Kopf voran über das Balkongeländer gedrückt. Als weitere Sicherheitskräfte die Dramatik der Situation erkannten und zu Hilfe eilten, sprang die ebenfalls besoffene Freundin des Indianers plötzlich vom etwa fünf Meter hohen Balkon auf die Bühne herunter, mitten auf das Keyboard von Faith No More, das dem Keyboarder auch prompt an den Kopf knallte. Nachdem die Band schon vorher nur noch unsicher dahingedudelt und verdutzt nach oben geschaut hatte, unterbrach sie das Spiel nun vollends. Der Tastenmann mußte schließlich verarztet werden; der Kollege konnte von Glück sprechen, daß außer der durchgeknallten Squaw niemand anderes vom Balkon gestürzt war, vor allem nicht er selbst. Es tat ihm aber nachher trotzdem alles weh. Und so schüttelt er heute noch den Kopf: Man könne ja auf Faith No More stehen, aber doch nicht auf Faith No More hinunterspringen!
Ruedi Widmer
Wie mir Karneval doch gefällt
Folgende Geschichte aus dem Jeckenmilieu erzählte mir ein Gewährsmann aus dem Rheinischen: Einer aus seinem Dorf, der sich sehr für Karneval begeistere, habe sich aus Pappmaché ein Dinosaurierkostüm gebaut. Nach Ende der Feierlichkeiten habe er sich ein Taxi bestellt, »aber ein Großraumtaxi, ich habe einen Riesenschwanz«.
Gunnar Homann
Obsoletes Wissen
Was hatte ich mich darauf gefreut, eines Tages meine Kinder dadurch zu beeindrucken, daß ich Pippilottas und Hadschi Halef Omars vollständige Namen sowie das gesamte Asterix-Latein drauf habe! Und nun halten die mich für den Totalversager, weil ich ihre Potter-Flüche, mit denen ich allabendlich empfangen werde, nicht parieren kann. Finite Incantatem!
Rolf Karez
Kindermund
Völlig mühelos faßte letzthin der dreijährige Sohn eines Freundes das Lebenswerk Arthur Schopenhauers zusammen, als er dessen überlebensgroßer Statue auf dem Frankfurter Hauptfriedhof ansichtig wurde: »Der Opa sagt nein!« – eine Exegese, für die Philosophiestudenten schon mal mehrere hundert Seiten benötigen. Warum eigentlich?
Oliver Nagel
In Amerika
müßte ich aufpassen, daß mich meine Hand nicht wegen sexuellen Mißbrauchs verklagt.
Andreas Schriewer
Überwachen und Strafen
Die ältere Dame, die mir im Kneipengespräch ihre Meinung zu Vorratsdatenspeicherung, Kameraüberwachung und Volkszählung mit den Worten zusammenfaßte: »Dagegen war ja Orwell noch ein Zuckerknabe!« – kann man diese Frau nicht irgendwie beobachten lassen? Sie scheint zu allem fähig.
Leo Fischer
Mädchen-WG
In meiner drogenaffinen Mädchen-WG stand unter der Küchentischplatte ein Satz, den unsere Gäste nur dann lesen durften, wenn sie schon unterm Tisch lagen. Manchmal lag ich in den frühen Morgenstunden selbst da, und die Worte »Blutvergießen ist die eine Sache, es wieder aufwischen eine ganz andere« überraschten und bewegten mich jedes Mal aufs neue. Klar, ich vergaß sie ja auch sofort wieder. Wegen der Drogen.
Doris Sakala
Minimiere deine Chancen!
Daß sich von den Adressaten meiner elektronischen Bewerbungsanschreiben weder nach vielen Wochen noch in Form auch nur einer schlichten Absage je einer bei mir meldete, beruhte, wie sich später herausstellen sollte, auf der einfachen Tatsache, daß ich beim Benennen des Dokuments »Anschreiben« das erste ›n‹ versehentlich mit einem ›r‹ vertauscht hatte. Und dazu – Glück im Unglück vermutlich – wollte sich offenbar keiner der Adressaten bereitfinden.
Florian Gehri
Arm dran
Seit uns der Frauenarzt beim letzten Ultraschall sagte, die Arme unseres Babys entwickelten sich vermutlich während unseres Urlaubs in Mecklenburg-Vorpommern, habe ich Angst, es könnten zwei Rechte werden.
Thomas Kuhlmann
Beim Chinesen
Als ich meiner Freundin nach dem Mahl zärtlich den Rücken streichelte, dachte ich zuerst: Mein Gott, ist die verspannt. Bei näherer Betrachtung bemerkte ich aber, daß ich die Rückenlehne erwischt hatte.
Uwe Becker
Die Jahre in F.
Will man sich den unbeirrbaren »Lauf der Zeit« (W. Wenders) vergegenwärtigen, die unermüdliche Abfolge von gestern–heute–morgen, die uns eben nimmt, was sie uns vorhin noch gegeben hat; möchte man sich vor Augen führen, wie vollkommen schutz- und hilflos man dem ewigen Mahlstrom der Vergänglichkeit ausgesetzt und geradezu ausgeliefert ist, Wesen aus Staub und Schuppen, das man ist und das sich in ebendiese Bestandteile früher oder später wieder auflösen wird; ist man überdies bereit und willens zu begreifen, daß die eigene Geschichte eine des ständigen Verfalls ist, der in den Ritzen und Winkeln unseres Daseins lauert wie nur je ein Speiserest in einer Polstermöbelfalte und aber dem Leben, wie es, eine mehr oder minder katastrophale Schmutzspur hinter sich herziehend, notwendig auf den Tod zukrümelt, genau dadurch Schwere, Würde und Bedeutung gibt –; möchte man sich also in einer raschen Minute von der eigenen Geschichtlichkeit, Kreatürlichkeit und letztlich Humanität überzeugen, empfiehlt es sich, nach sieben Jahren erstmals den Bezug vom Ikea-Klippan-Sofa abzunehmen und unter die jüngere Vergangenheit dann einen Schlußstrich zu ziehen (60 Grad Buntwäsche, Flusensieb hinterher wegschmeißen).
Stefan Gärtner
Erlebniserzählung
Neulich am Nürnberger Flughafen. Rentner – dem Dialekt nach aus Thüringen – darf nicht durch die Sperre, weil die im Handgepäck mitgeführte ungeöffnete Wodkaflasche die erlaubten 200 ml deutlich überschreitet. Rasch kommt ihm die rettende Idee: Er schraubt die Pulle auf und trinkt sie vor den Augen des Sicherheitspersonals auf ex aus. »Des habter nu davon!« Einer der Sanitäter, die ihn eine halbe Stunde später abtransportieren: »Und so was in Ihrem Alter!« Der Rentner, im Komplett-Delirium: »Des macht mer so schnell keener nach!«
Moses Wolff
Aus dem Patriarchat
Kürzlich war ich Gast bei einer griechischen Hochzeit; am besten gefielen mir die Geistlichen mit ihren durchaus unorthodoxen Kopfbedeckungen.
Theobald Fuchs
Junge Eltern
Den Originalitätsterror bei der Namensgebung von Neugeborenen nehme ich eigentlich nicht mehr wahr. Gewöhnt habe ich mich längst an Zoé-Delphine, Luna-Soleil, Pepsi-Carola, Jolina-Bob und Corvin-Leonard. Bei einem Namen zuckte ich jetzt aber doch zusammen: Justin-Horst. Da fragte ich mich kurz, wie die Eltern auf diesen Namen gekommen sind, welche Namen sie auf dem Weg zu Justin-Horst verwarfen. Kevin-Heinz? Marvin-Fritz? Marlon-Jens? Norman-Hans?
Nico Walser
Einschlafprobleme?
Menschen, die unter Einschlafproblemen leiden, sollten nicht versuchen, den Schlaf mit Macht zu erzwingen. Oft reicht es schon, sich mit Martin Walsers neuestem Roman »Angstblü
Daniel Sibbe