TITANIC-Wut-Rubrik: Die offene Tür
Heute: Wilhelm Lindemann (67) über Satire
Sie haben es vielleicht Ihrer Tageszeitung entnommen: Neulich trug der selbsternannte "Satiriker" Jan Böhmelmann im TV ein sogenanntes Schmäh-"Gedicht" vor, wobei "Gedicht" angesichts dieses schlecht gereimten Schimpfwortkonsulats in mehr als nur riesengroßen Anführungszeichen gelesen werden sollte. Ich möchte Ihnen die Wiedergabe an dieser Stelle ersparen, seien Sie einfach versichert, daß niemand solche Beleidigungen verdient hat, nicht einmal Recipe Ttip Erdoğan. Daß so ein Sch... überhaupt öffentlich ausgesprochen werden darf, ist ein Armutszeugnis für unser Land und zeugt davon, daß dem einen oder anderen die Meinungsfreiheit wohl zu Kopfe gestiegen ist. Denn Freiheit heißt auch: Verantwortung, und dieses "wertvolle Stück Literatur" (Achtung, Ironie!), das uns ungefragt im ZDF zur besten Sendezeit präsentiert wurde, war verantwortungslos und dumm. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein Riesensatirefan! Über Volker Pispers' (Gott hab ihn selig) einleuchtende Analysen kann ich mich noch heute stundenlang beömmeln, und Hagen Rethers treffende Gegenwartsprosa regt mich regelmäßig zum Nachdenken an. Gerne schmunzele ich auch über die genialen Beiträge des Senders "Extra 3", die "Heute"-Anstalt oder die eine oder andere Sottise des "Postillion". Hier wird der Gesellschaft mit spitzer Feder der Spiegel vorgehalten und die Realität zur Kenntlichkeit entstellt, damit uns das Lachen im Halse stecken bleibt. Und selbstverständlich gilt noch immer das clevere Diktum des großen Heimatdichters Klute Tucholsky: "Was darf Satire? Satire, die darf alles!" Dabei vergessen viele: Was nicht gedurft wird, kann demzufolge keine Satire sein. Das "Gedicht" von Jan Böhmelmann hat die Grenzen der Satire weit überschritten und muß als Straftat entsprechend mit der ganzen Härte des Gesetzes geahndet werden. Ach ja richtig, wir befinden uns ja in Deutschland, wo Kinderschänder zu Sozialstunden in der Grundschule verurteilt werden und Mörder nach drei Monaten "Sitzen" wieder frei herumlaufen dürfen, wohingegen ein souveräner Fahrstil einen für Jahre ins Kittchen bringen kann. Und nun also plumpe Beleidigungen bezahlt von unseren Fernsehgebühren, und Verfasser Blödmann verdient sich damit auch noch eine goldene Nase. Wenn es so weitergeht, ist hier bald alles erlaubt, man muß nur "Satire" dazusagen. Banküberfall? Kein Problem! Erklären Sie im Finanzinstitut Ihrer Wahl einfach, es handele sich um einen exzellenten Witz, wenn Sie gleich mit mehreren Millionen türmen! Mord? Bitte, nur zu. Nehmen Sie alles auf Video auf und sagen Sie davor, daß jetzt der Gagbeitrag des Jahres kommt. Willkommen im Irrenhaus namens BRD GmbH! Am meisten hat mich an Böhmelmanns "Gedicht" jedoch geärgert, daß es auch noch rassistisch ist – etwas, was bislang kaum jemandem aufgefallen ist. Erdoğan wird darin nämlich als "Ziegenf..." verunglimpft, eine Vokabel, die einen mit Grausen an die NS-Zeit zurückdenken läßt, als dies die gängige Bezeichnung für die Orientalen vom Bosporus war. Die Bundeskanzlerin merkelt in der Sache erwartbar vor sich hin, Böhmelmann selbst läßt sich gerade irgendwo bei voller Gehaltsfortzahlung die Sonne auf den Pelz brennen. Wenn Sie mich fragen, ging es diesem selbstgerechten Fernsehaffen nur um Aufmerksamkeit und Quote, aber darüber redet natürlich mal wieder niemand!
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