TITANIC Thinktank – Ein philosophisches Weihnachtsgespräch mit Peter Sloterdijk
TITANIC: Herr Sloterdijk, die Adventszeit hat begonnen.
Sloterdijk: Und es weihnachtet sehr. Ich selbst habe aus biographischen Gründen ein durchaus gespaltenes Verhältnis zum Christfest. Während mich heute viele Menschen nur noch als eine Art Zottelpriester auf Amphetamin kennen, gab es in meinem vergangenen Leben durchaus psychokinetische Phasen, in denen ich das systemische "Ho, ho, ho" des Weihnachtsmanns vorübergehend gegen das anämische "Ho! Ho! Ho!" des Chi Minh und später gar gegen das posthämische "Om, om, om" im Esrom ähm... Ashram von Bhagwan eingetauscht habe. Erst seit jener kosmischen Stunde, in der es mir gelang, meine Ideen aus Poona mit neueren Ansätzen von Luna, der Tochter von Til Schweiger, zu einer Kritik der epiphanischen Vernunft zu synkretisieren, kann ich wieder lauthals mitschmettern, wenn in der Christmette "Atemlos durch die Weihnacht" von Helene Fischer ertönt. Mit dem schwedisch-hanseatischen Deontologen Olefon Beust gesprochen: Das HH-H, das auch im Advent auf Hamburger Autokennzeichen prangt und uns aufs bedrückendste an den berüchtigten Nazi-Gruß "Hallo, Herr Himmler" erinnert, verwandle ich figurativ in das Hihihi zurück, das einem quasi a priori entweicht, wenn man sich vorstellt, wie Julian Nida-Rümelin nackt aussieht. Mit Richard David Precht funktioniert das sogar noch besser, hihihi.
TITANIC: Jetzt kommen wir aber vom Thema ab.
Sloterdijk: Keineswegs. Wenn ich von Precht spreche, spreche ich ipso facto vom Weihnachtsbaum, an dem dieser Mann nun mal nicht die hellste Kerze ist. Und wenn ich von Nida-Rümelin spreche, spreche ich cum grano salis bzw. je schon vom Gefangenendilemma. In einem Dilemma gefangen ist aber auch der ordinäre Weihnachtsbaumkäufer, der sich zwischen Tanne und Fichte entscheiden muß. Fichte wiederum bildet mit Schelling und Hegel ein enigmatisches Triumvirat, das ich in meinem Essay "(Glüh-)Wein und Zeit" als die Heiligen Drei Könige des Deutschen Idealismus bezeichnet habe. Geklärt werden muß nur noch, ob man Fichte mit Balibar als Balthasar oder Schelling mit Carnap als Caspar betrachten sollte. Meine Meinung dazu ist Ihnen bekannt.
TITANIC: Äh... nein.
Sloterdijk: Auch egal, Sie epistemisches Trauerspiel. Ich möchte jetzt ohnehin lieber über die Dialektik von Herr und Knecht Ruprecht sprechen. In meiner "Phänomenologie des Geizes" habe ich darauf hingewiesen, daß der lange Arm der Schuld, der aus der Vergangenheit in die Gegenwart greift, in der modernen Gesellschaft vor allem durch den Kredit dargestellt wird. Ganz vorn an diesem Arm befindet sich bekanntlich die fette Hand des Kredithais, die sich in einem einzigen Nu in die geballte Faust von dessen finsterem weißrussischem Assistenten verwandeln kann, der seinerseits ausgerechnet am Nikolaustag am Türglöckchen klingelingelingt. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?
TITANIC: Also...
Sloterdijk: Dann unterbrechen Sie mich gefälligst nicht andauernd! Alles, was ich den Leserinnen und Leser draußen in der paradigmatisch-gurukratischen Apparatewelt nahebringen möchte, ist dies: Es gibt in der Weihnachtszeit Vanillekipferl, es gibt Kokosmakronen, und es gibt trivialerweise auch Spitzbuben wie Honneth oder Habermas. Selbst die Existenz von Spekulatius beruht keineswegs auf Spekulation. Wenn man jedoch über diese basalen phänomenologischen Einsichten hinausgelangen möchte, empfiehlt es sich gleichsam, die Welt akustisch anzuzapfen. Wie der Christbaum, der keineswegs zufällig von antennenförmiger Gestalt ist, müssen wir unsere Lauscher ausfahren, um die unzähligen Sonnen des Universums – aufgrund meiner gleichursprünglichen poetischen Gestimmtheit nenne ich sie auch gern die Zimtsterne des Alls – auf ihren akustischen Sinn hin zu prüfen. Was wir dabei als Rauschen im Hintergrund wahrnehmen, klingt wie irritierend-irisierendes Gekicher. Es ist das gnostische Lachen des Multiversums, das sich gerade vorstellt, wie Richard David Precht nackt aussieht.
TITANIC: Vielleicht, daß Sie noch ein Schlußwort...
Sloterdijk: Der saudumme Precht nackt! Das ist ja fast wie Weihnachten, hihihi.
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