TITANIC Gold-Artikel
Lifestyle-Trend Sterben
Der Tod ist eine einzigartige Lebenserfahrung, die anschließende Beerdigung ein modisches Statement. Stilvoll leben heißt auch stilvoll begraben werden. Sei also am Puls der Zeit, wenn Dein Puls stoppt! Wir präsentieren die angesagtesten Bestattungstrends und todschicksten Leichen-Looks
Standesbewusstsein im Liegen
Früher war es selbstverständlich, seinen Beruf auf den Grabstein zu meißeln, auf dass die Nachwelt wusste: "Adalbert Henning, Fleischergeselle" oder "Edeltraud Hillinger, Hausbesitzersgattin". Der Grabstein als Visitenkarte ist jetzt wieder voll im Kommen: "Marie-Luise von Trattental, Head of Sales Advanced Academic Business Manager" oder "Liam Lessing, Irgendwas mit Medien". Ein userfreundliches Tool ermöglicht dem Friedhofsbesucher zusätzlich einen Blick auf die Vita des Verstorbenen: das Epitaph-Tablet. Auf diesem Grabstein mit Touchscreen-Funktion kann man Lebensläufe und Arbeitszeugnisse abrufen. Ein Must-have- Abgangs-Accessoire für leistungsorientierte Tote! Auch ist es möglich, Online-Rezensionen über das Lebenswerk abzugeben oder die Grabgestaltung auf FinalTripAdvisor von null bis fünf Totenschädeln zu bewerten.
Die letzte urbane Ruhestätte
Gerade im städtischen Raum werden immer mehr Grünflächen verbaut. Es gibt wenige Plätze, wo man in der Natur die Seele baumeln lassen kann. Deshalb gerade total en vogue: Schreber-Gräber. Warum die sonst oft vernachlässigten Erdparzellen nicht als kleines Gärtchen nutzen, auf Oma das eigene Biogemüse hochziehen, neben Opa die Hängematte montieren, auf Onkel Edwin den Sandkasten für die Kleinen aufschütten? Im Schreber-Gräber-Garten kommt man endlich mal zur (teils ewigen) Ruhe. Und was hilft besser gegen Burn-out als ein täglicher Blick aufs Krematorium?
Für Naturverbundene, die das Schrebergräbergärtnern zu bieder finden und eher den Nervenkitzel suchen, bietet sich ein anderer Trend an: Urban Undertaking. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion brachliegende, städtische Flächen zum Grab umfunktionieren: ein Freizeitspaß, der früher ausschließlich im mafiösen Bandenkrieg-Milieu etabliert war, sich aber mittlerweile erfolgreich zum Hipster-To-do gemausert hat.
Neue Wohn- und Lebensformen bestatten
Als Student lebt man in einer WG, weil man noch arm ist. Als alter Mensch lebt man in einer WG, weil man wieder arm ist. Nur logisch, dass es mittlerweile immer mehr Grabgemeinschaften, sogenannte GGs gibt. Eine GG ist oft mehr als das bloße gemeinsame Nutzen einer unterirdischen Immobilie. Sie ist eine Verwesensgemeinschaft.
Auch neue Familienmodelle spiegeln sich am Gottesacker wider. Immer öfter stößt man etwa auf Patchwork-Gräber. Sich zwischen mehreren Familien aufzuteilen war im Leben beinharte Organisationsarbeit. Als Leiche ist es null Problemo: hier ein Bein, dort eine Hand, hüben das Ohr, drüben die Nase.
Die Regel wird aber zunehmend das schlichte, triste Singlegrab, das mangels Besuchertraffics nur kurzzeitig Verwendung findet und deshalb als Einweg-Bestattung gestaltet ist.
Postmortal digital
Für ein Digital Grave wird man in einem aufwendigen Verfahren verbrannt, die Asche wird zu einem Diamanten gepresst und dieser dann weggeworfen, denn man braucht nur eines: seinen Facebook-Account! Hochmotivierte Marketing-Studenten betreuen diesen nach dem User-Tod weiter und gestalten individuell zugeschnittene postmortale Posts. Im sogenannten "Fadebook" likt man fortan bis in alle Ewigkeit Katzenvideos und lustige Memes zum Thema Fegefeuer. Ein in Echtzeit übertragener Verwesungs-"Live"-Stream ist ebenso möglich. Mit einer Full-HD-Mini-Innensargkamera kann man so den eigenen Teilungsprozess teilen.
Durch ein einmaliges Geschäftsmodell finanziert sich die selige Webpräsenz auch noch selbst. Man fungiert als Jenseits-Testimonial. Vom eignen Account aus verbreiten die Social-Media-Experten zielgruppenrelevante Werbebotschaften, etwa für Anti-Aging-Cremes und elegante Sargbezüge.
Bewusstes Sterben
Nachhaltig ist der Tod ja prinzipiell, doch ist er auch fair? Um nicht auch noch beim Abgang soziales Gewissen und ökologischen Fußabdruck zu belasten, sollten nur Bestattungsunternehmen gebucht werden, die mit dem "FairWesen"-Gütesiegel ausgezeichnet sind. Ein ressourcenschonendes Begräbnis ist nicht selbstverständlich. Vor allem Krematorien gelten als CO2-Schleudern und Feinstaubverursacher. Die klassische Erdbestattung ist vorzuziehen, kommt sie doch einer natürlichen Kompostierung am nächsten.
Damit es später aber nicht heißt "Außer Verwesen nix gewesen" kann außerdem das im menschlichen Körper reichlich befindliche Mikroplastik recycelt werden. Die daraus gefertigten PET-Flaschen bieten sich allem voran zur familieninternen Verwendung an – launige Kommentare wie: "Sie/Er war ja schon immer eine Flasche!" inklusive.
Jürgen Miedl, Illustrationen: Leo Riegel