Newsticker

Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Inside Rote Flora

Sie ist in diesen Tagen Symbol für die sinnlose Gewalt gegen eine unmenschliche Weltordnung: die Rote Flora in Hamburg, besetzt seit 1989, Zentrum der Autonomen. Viele haben darüber geschrieben, nur wenige sich selbst ein Bild gemacht. TITANIC war für Sie in der linken Herzkammer der kommenden Revolution.

Vor dem Eingang der Flora spielen rotgebrannte Kinder mit herumliegenden Pflastersteinen in der Abendsonne Demonstrant und Gendarm und tun sich dabei gegenseitig tüchtig weh. Es ist wieder Alltag eingekehrt in der Sternschanze, erstaunlich schnell wurde das Viertel neu aufgebaut, nachdem es linksextreme Krawallmaschinen bei den Protesten gegen den G20-Gipfel "in Schutt und Asche" (Quelle: Facebook) gelegt hatten. Angeblich waren Bewohner der Flora an den Ausschreitungen beteiligt, doch sind radikale Gegner der herrschenden Besitzverhältnisse mit einem ganz eigenen Verständnis von Eigentum wirklich zu solch unmenschlichen Gewalttaten fähig?

Von außen zumindest wirkt das Gebäude durch und durch friedlich. Einzig die zahlreichen Graffiti an der Fassade lassen auf die kriminelle Energie schließen, die hier herrschen könnte. "Hallo, schön, daß ihr gekommen seid", begrüßt uns Jutta. Jutta ist so etwas wie die gute Seele der Flora. Bei ihr laden die oft jungen Szeneaktivisten ihre Sorgen ab, seit zwanzig Jahren hört sie sich die immergleichen Geschichten von Liebeskummer und kaputten Sonnenbrillen an. Sie ist auch da, wenn nach einer durchzechten Nacht mal etwas "danebengeht". Jetzt sitzt Jutta in der großen Küche der Flora und erzählt von damals, wie sie zuerst in Berührung kam mit den Ideen von Sachbeschädigung und Gewalt gegen Polizisten. Es sieht gut eingelebt aus hier. Die Wände wurden vor langer Zeit in bunten Farben gestrichen, vergilbte Poster von "Pulp Fiction", "Fear and Loathing in Las Vegas" und Che Guevara hängen daran. In der Kochzeile bereiten ein paar langhaarige junge Menschen mit einem Pürierstab vegane Brotaufstriche zu; aus einem tragbaren CD-Spieler scheppert "Light My Fire" von den Doors. Der einzige Umsturz, der hier derzeit geplant wird, scheint der des roten Wackelpuddings auf dem Fenstersims zu sein.

Doch nach der G20-Katastrophe fordern zahlreiche Politiker die Schließung der Flora. Statt einer Oase alternativer Widerstandskultur gegen die Herrschaft des Kapitals sehen sie in dem besetzten Haus eine Keimzelle linksextremer Zerstörungsorgien. Etwas mehr als einen Steinwurf entfernt, plant man bei der Polizei den Aufstand gegen die kommunistische Gesinnungsdiktatur der Flora, mit der diese ein ganzes Stadtviertel kaputt und lebenswert machen will. "Die Besetzung muß ein Ende haben, ganz einfach", bringt Polizeihauptkommissar Mirco Stoever die Sache auf den Punkt. "Und da uns die Anarchos ihr kulturelles Kapital nicht freiwillig überlassen werden, bedarf es des bewaffneten Widerstands durch unsere Ordnungskräfte gegen das Schweinesystem der Flora!" Eine regelrechte Revolution des Stadtteils schwebt Stoever vor, an deren Ende jeder Polizist ohne Angst verschiedene Autonome verprügeln dürfen wird.

In der Flora sieht man solchen Ideen gelassen entgegen. Die langhaarigen jungen Leute kündigen aufgeregt an, sie würden jetzt "eine Runde spazieren gehen" und Jutta kurz mitnehmen. Wenige Minuten später kommen die Spaziergänger mit glasigen Augen und ständig kichernd wieder – wie sich später herausstellt, haben sie draußen Marihuana geraucht. Wurde der Linksextremismus in den letzten Jahren doch verharmlost? Jutta gerät bei dieser Frage ins Schlingern, hört zwischendurch auf zu reden und starrt minutenlang in die Tischkerze. Am Ende, so gibt sie schließlich zu, sei das "alles echt megakomplex", weil ja "alles mit allem" zusammenhänge; ihr und "den meisten anderen roten Socken" gehe eigentlich auch nur darum, "eine gute Zeit" zu haben und "die da oben ein bißchen zu ärgern." Inzwischen steht ein Sixpack Oettinger Radler auf dem Tisch, die Musik scheppert lauter, der Nahostkonflikt wird diskutiert. Schnell sind die Fronten verhärtet, Antideutsche und Antiimps stehen einander unversöhnlich gegenüber. Plötzlich klingelt es, es ist die Polizei. Die Nachbarn hatten sich wegen der Lärmbelästigung beschwert.

Kategorie: Allgemein



Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick