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Szenen aus dem Herzen

Greta Thunberg ist zur Ikone des weltweiten Klimawandels aufgestiegen. Nun hat ihre Mutter, Malena Ernman, (zusammen mit Gretas Schwester und Vater Thunberg) ein Buch über sie geschrieben. TITANIC liegen exklusive Auszüge vor

Szene 1

„Es ist das Jahr 2009. Und gleich ist es soweit. Ich stehe backstage, bereite mich auf meinen Auftritt beim Eurovision Song Contest in Moskau vor. Es ist der Höhepunkt meiner Karriere. Dann betrete ich die Bühne, das gespannte Publikum sitzt vor mir. Als ich für den ersten Ton meines Liedes den Mund aufmache …“ – „Wie bist du denn nach Moskau gekommen?“, unterbricht mich Greta und schaut mich zwischen ihren Zöpfen misstrauisch an. „Ich bin geflogen“, murmele ich. „Bitte was? Ich habe dich nicht genau verstanden“, sagt Greta scharf und so kalt, wie die Polkappen schon lange nicht mehr sind. „Ich bin geflogen“, sage ich zaghaft. „Kannst du das noch mal lauter sagen? Ich glaube, die hinteren Reihen haben dich nicht gehört.“ – „ICH BIN GEFLOGEN!“, rufe ich und winde mich dabei. Einen Moment fixiert Greta mich. Es ist nur ein Moment, aber für mich fühlt es sich an, als wäre er lang genug, um in dieser Zeit alle verfügbaren fossilen Brennstoffe aufzubrauchen. Dann lächelt sie gütig: „Na ja, damals war ich ja auch noch zu klein, um dich zu aufzuhalten. Allerdings hätte deine Generation da auch wirklich selbst drauf kommen können. Das warme Wasser ist für heute gestrichen.“

Ich atme erleichtert aus. Als sie mich unlängst dabei erwischte, einen nicht ausgespülten Joghurtbecher in den gelben Sack zu werfen, gab es drei Tage nur Kompost. Unsere Tochter (Greta natürlich, nicht die andere) hat mich, ihre Mutter, und meinen Partner Svante davon überzeugt, nie wieder zu fliegen. Und dafür vegan zu leben. Sie hat unser Leben komplett durcheinandergebracht, genau wie die klimabedingten Wirbelstürme, die wir verhindern müssen: Bevor sie mit dem Klimawandel anfing, bin ich nie zu Demos gegangen, sondern habe höchstens welche aufgenommen. Und darum soll es in diesem Buch gehen: Wie wir alle mit anpacken können, um den Klimawandel – auf schwedisch „Klymawändla“ – noch abzuwenden. Bitte helft mir!

Szene 2

Eines Tages sehe ich die achtjährige Greta mit besorgter Miene durch das Haus huschen und in jeder Ecke mit ihrem Fieberthermometer stehen bleiben. Als ich sie ängstlich frage, was denn jetzt schon wieder los ist, erklärt sie, dass sie in letzter Zeit beobachtet hat, dass es immer wärmer wird. Bald hat sie den Grund herausgefunden: In Schweden wird im Winter geheizt. Und das führt durch den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid zur Erwärmung der Atmosphäre. Ihre großen Augen werden noch größer, ihre Zöpfe wippen nervös, als sie darüber nachdenkt. Dann geht alles sehr schnell: Greta kettet sich an unsere Heizung, um die Abschaltung zu erzwingen. Zuerst denken wir nicht viel darüber nach, in Schweden weiß man, dass Mädchen mit Zöpfen zur Aufmüpfigkeit neigen. Später versuchen wir, ihr gut zuzureden, dann, sie zu ignorieren. Doch nach drei Tagen Gitarrenmusik über sterbende Eisbären und traurige Klimaflüchtlinge halten wir es nicht mehr aus. Wir stellen die Heizung ab und sind alle für den Rest des Winters erkältet. Greta zieht triumphierend ihre Nase hoch, während sie sich vor die Badezimmertür legt, um gegen unsere Wasserverschwendung zu protestieren. Ich melde mich bei Twitter an. Nur zur Sicherheit.

Szene 3

Greta blinzelt mit ihren großen, runden Augen in die Sonne. Ihr zierlicher kleiner Körper, der, wie Jan Fleischhauer bedauernd feststellte, eher zu einem Kind als zu einer jungen Frau passt, steckt in einer großen Jacke aus recycelten Jutetaschen. Trotzig sitzt sie damit vor dem schwedischen Parlament, und zwar so sehr im Weg, dass alle Parlamentarier über sie hinwegsteigen müssen. Genau wie bei diesen wird sie in den nächsten Monaten Millionen Milliarden Kinder davon abhalten, einen erfolgreichen Weg einzuschlagen. Ich stehe etwas abseits, betrachte das Spektakel, als mir plötzlich ein furchtbarer Verdacht kommt: Was ist, wenn meine Tochter gar nicht so wunderbar ist, wie ausnahmslos alle denken? Im öffentlichen Diskurs hört man ja nur Gutes über Greta. Aber hat schon mal jemand bemerkt, dass sie Asperger hat? Das sagt doch was aus darüber, wie sehr sich jemand an der Diskussion über den Klimawandel überhaupt beteiligen darf! Eines ist auf jeden Fall sicher: Die Ökos sind genauso schrecklich, wie ihre Gegner es immer befürchten! Ihre Kritik und ihre Ignoranz sind absolut berechtigt. Verstohlen blicke ich mich um, schlendere dann unauffällig zum nächsten Ikea und hole mir einen Hotdog aus Tropenholz.

Szene 4

Ich stehe im Publikum der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos. Meine Füße schmerzen von dem weiten Weg hierher, Greta hat mich die ganze Zeit begleitet, damit ich nicht aus Versehen mit dem Auto fahre. Jetzt steht sie auf der Bühne und erzählt, dass sie die Hoffnung der Erwachsenen nicht wolle, dass unsere Generation vielmehr in Panik geraten sollte und die Zukunft der nachfolgenden Generationen verspiele. „Immerhin haben wir Schulabschlüsse“, denke ich, und der plötzlich vorbeiwehende Trotz sorgt dafür, dass ich mich noch enger in meine Robbenfelljacke wickele. Im Saal ist es wegen des allgemein schlechten Gewissens zum Glück so dunkel, dass Greta mich nicht sehen kann. Ich setze schnell einen Tweet ab, dass man nicht auf Greta Thunberg hören soll, immerhin hat sie Asperger! Außerdem wird sie offensichtlich sehr von ihren Eltern gesteuert. Es ist wohl das Beste für das Kind, es von den beiden fernzuhalten. Gretas Rede ist zu Ende, es brandet Applaus auf wie die Tsunamis an den asiatischen Küsten, die uns eigentlich ziemlich egal sind. In der Begeisterung bemerkt niemand, dass ich mich rausschleiche, um eine Konferenzschaltung mit Andreas Scheuer und Ulf Poschardt zu organisieren. Unsere Generation muss schließlich zusammenhalten.

Laura Brinkmann

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt