Gärtners kritisches Weihnachtsfrühstück: Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Mein kleiner Bruder neigt eigentlich nicht dazu, mir recht zu geben, was vermutlich in der Natur kleinerer Brüder liegt, aber als er, der Familienvater, nun auch auf dem guten alten „Mensch ärgere dich nicht“ den Hinweis fand, dieses Spiel fördere die kindliche Konzentration etc., gab er sich geschlagen: Ja, sie seien alle verrückt geworden, und mir fiel dazu das alte Führerzitat über seine Hitlerjugend ein: Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.
Wahrscheinlich lag’s an der derart harmonisierten Stimmung, daß wir uns, was die Berliner Geschehnisse anging, gleich darauf einigten, daß man auch mit diesem Wahnsinn werde leben müssen, wobei meinem Bruder, dem Juristen, die Formel „allgemeines Lebensrisiko“ einfiel; und da war noch nicht klar, daß der Attentäter längst als hochbrisanter „Gefährder“ in den Akten stand, ohne daß es was genützt hätte. Zwar trat ausgerechnet der Liberale Lindner in die sich umgehend erhitzende Debatte mit der Forderung nach „Fußfesseln“ ein, aber auch die werden nicht verhindern, daß Leute, die töten wollen, töten werden. Wo ja schon bewaffnete Kinder aufgegriffen worden sind.
Nun ist Lebensrisiko aber nicht gleich Lebensrisiko. Ich kann vom Blitz erschlagen werden oder, wie Ödön von Horváth, von einem herunterfallenden Ast; ich kann aber auch auf der Autobahn verscheiden, weil irgendein Audi-Pilot nicht weiß, wo das Bremspedal ist. Auf Autobahnabschnitten ohne Tempolimit ist die Zahl der Verkehrstoten um fast 30 Prozent höher als auf solchen mit, und daß um der freien Fahrt für freie Bürger willen Menschen sterben, ist eine politische Entscheidung: Buchstäblich jeden Toten und jede Schwerverletzte, die auf die Rechnung des fehlenden Tempolimits gehen, verantwortet die Politik. Es gibt viele solcher Entscheidungen: über Abgasgrenzwerte oder Giftrückstände in Lebensmitteln, über Atomkraft oder Armut, die das Leben statistisch um ein reichliches Jahrzehnt verkürzt. Darüber, daß es sich beim Terror, mit dem die sog. freie Welt wird leben müssen, um eines der Risiken handelt, die nicht vom Himmel hoch herkommen, waren Brüderchen und ich uns dann nicht ganz so einig; schließlich sei beim Rasen auf deutschen Straßen der Zusammenhang von Ursache und Wirkung klar, bei Anschlägen wie dem in Berlin aber nicht, und wenn ich mich sagen höre, daß eine Welt, in der die einen viel und die anderen wenig haben, eine gewalttätige sein muß, und daß die Waffen, mit denen sich die Leut’ rund um den Erdball massakrieren, fast nie aus den Ländern der Massaker selber kommen (sondern, zum Beispiel, aus Deutschland), dann klingt das auch in meinen Ohren nach einem klischierten Sozialkundeunterricht der achtziger Jahre.
„Die GmbH haftet mit ihrem Gesellschaftsvermögen … für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Das Privatvermögen der Gesellschafter bleibt unberührt.“ Wikipedia
Aber ist es darum falsch? Wo kommen sie her, der Haß und der Wahn, wenn nicht aus einer Welt, die in ihren Wohlstandsregionen die Kinder immer blindwütiger auf eine Konkurrenz verpflichtet, die anderswo für das Elend sorgt, aus dem sich dann leicht die Kämpfer (und Kämpferinnen) für eine noch schlechtere Welt rekrutieren lassen? Wie soll der Fortschritt für eine Menschheit aussehen, wenn selbst der kleine Teil, der ihn sich leicht leisten könnte, darauf pfeift? Und ist es falsch, darauf zu beharren, daß die Gewalt nicht eher endet, bis daß Besitz und Macht nicht mehr davon profitieren?
Der Kapitalismus, das weiß sogar der Papst, kalkuliert mit Not und Tod; und die grimmige Parole, sich von Attentätern nicht beirren zu lassen, bedeutet nichts anderes, als daß auch die Toten auf deutschen Weihnachtsmärkten, die jetzigen wie die künftigen, längst als Betriebsausgaben verbucht sind.
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