Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Wurzelbehandlung
Heute, Donnerstag, ist mein letzter Tag vor den großen Ferien, und da sollte ich eigentlich nicht gezwungen sein, mich noch ernstlich mit den Tagesalbernheiten zu beschäftigen. Also einfach mal weghören, wenn die da oben reden. Und, wie meine alte Freundin Heike Göbel von der FAZ, mal wieder den Markt zurückhaben wollen.
„Übergroßer Staatseinfluß ist die Wurzel der Skandale“, nämlich bei VW und anderswo. Sie meint aber nicht die überaus branchenfreundliche Gesetzgebung oder die enormen Subventionen mittels Dienstwagenprivileg – davon ist bei unseren Freundinnen und Freunden freiheitlicher Ordnungspolitik, heißen sie nun Göbel oder Lindner, seltsamerweise nie die Rede –, sondern daß bei VW das Land Niedersachsen eine Sperrminorität besitzt. „Die Landespolitik versagt als Kontrolleur“, eigentlich: Kontrolleurin, „weil sie nicht unabhängig ist. Der Haushalt hängt am Steuerzufluß des Konzerns, die Wählerstimmen am Wohlwollen der starken Gewerkschaften. Keine Partei rührt an diesem marktwidrigen Zustand, selbst die nicht, die sich liberal nennt.“
Und nu’ hör’ ich halt doch wieder hin, denn wer lauschte nicht fasziniert den immergleichen Signalen aus der Frankfurter Allgemeinen Nebenwelt? Die Landespolitik ist nicht unabhängig vom größten Konzern des Landes, weil er der größte Steuerzahler und Arbeitgeber ist: ein, schreibt Heike Göbel, marktwidriger Zustand. Wie sähe aber nun ein marktkonformer Zustand aus? Das müßte einer sein, in dem die Landespolitik unabhängig vom größten Konzern des Landes ist und Wählerstimmen nicht am Wohlwollen der starken Gewerkschaften hängen, also Gewerkschaften keinen Einfluß aufs Wahlvolk haben, also keinen. Damit die Landespolitik ihrer Aufgabe, den größten Steuerzahler und Arbeitgeber des Landes zu kontrollieren, unabhängig nachkommen kann, muß nicht nur die Sperrminorität weg (die sich ja schlimmstenfalls sehr marktwidrig für Sozialklimbim mißbrauchen läßt), sondern müssen auch die Steuern runter und die Arbeitsplätze auf eine Weise prekarisiert werden, daß Wählerstimmen nicht sowohl am Wohlwollen der Gewerkschaften als an dem der „Bild“-Zeitung hängen.
„Und dann reicht er mir das Glas, das volle / und sagt: Alles unter Kontrolle.“ Lindenberg, 1976
Die Landesregierung versagt als Kontrolleurin, weil sie abhängig ist. Das sind Regierungen in Marktwirtschaften freilich immer – weshalb Kretschmann vor Daimler und Seehofer vor BMW und Dobrindt vorm VDA und Merkel vorm BDI ihre Bücklinge machen –, und weil das nun mal so ist und Heike aber marktwidrige Zustände nicht und nicht erträgt, muß sie wohl so konsequent sein und die Regierung abschaffen oder jedenfalls in Richtung small government modeln. Damit die Marktwirtschaft sich endlich unbehelligt selbst kontrollieren und die Skandalwurzeln ausreißen kann (vgl. u.a. „Der Spiegel“ 30/217: „Das Kartell“), anstatt bspw. irgendwelchen kleinkarierten US-Behörden Strafmilliarden hinterherzuwerfen, die doch bei den Aktionärinnen weißgott besser aufgehoben sind.
Ich kann es nicht mehr hören; und nehme mir die „Freiheit“ (FDP), es vier Wochen nicht zu müssen.
Liebe Leserin, lieber Leser, das Sonntagsfrühstück macht Urlaub und ist am 10. September wieder für Sie da.
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