Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Wenn der Pinsel erzählt
Das werde ich ja auch „oft“ gefragt: Wie ich nur immer an meine Ideen gerate! Und im Sinne der Transparenz wie auch der Kundenbindung will ich heute gern die Auskunft erteilen, daß ich gestern, in einem Kurzanfall von Frühjahrsputz, die Küche nicht nur aufgeräumt und staubgesaugt, sondern gleich auch noch mit einem Rest Wandfarbe die diversen Stuhlschrammen, Buntstift- und Fingerspuren beseitigt habe und den Farbtopf dabei auf dem (ungelesenen) Wirtschaftsteil vom Dienstag hatte; und schwupp, hatte der liberale Wirtschaftsmann Marc Beise unter der schon mal attraktiven, weil irgendwas verläßlich Unsozialistisches verheißenden Überschrift „Ach, unsere Reichen“ für alles Nötige gesorgt:
„Die Reichen über das bekannte Maß der progressiven Steuer (je höher das Einkommen, desto höher auch der Steuersatz) hinaus abzukassieren, macht keinen Armen reicher. Es ist die Crux der Umverteilung, daß ganz oben, bei Multimillionären und Milliardären, in der Summe gar nicht genug nachbelastet werden kann, um unten spürbar zu entlasten. Weshalb derart gestrickte Steuerreformen mit ziemlicher Regelmäßigkeit von oben bis weit in die Mittelschicht hineingreifen und damit jene treffen, die zunächst gar nicht gemeint waren“ und die im übrigen Beises Kernkundschaft stellen. „Auch Gesellschaften, die so sozial organisiert sind wie die deutsche“, das hat er schön gesagt, „profitieren von großen Vermögen. Sie sind das Rückgrat manches Traditionsunternehmens“, falls das nicht umgekehrt genauso gilt. „Sie investieren in neue Unternehmen und Ideen. Sie geben Geld, wo Banken sich schwertun. Sie investieren in Kunst und Kultur und in den regionalen Standort. Wenn namentlich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie sie viele deutsche Kommunen kennen“ und die, versteht sich, rein gar nichts damit zu tun haben, daß es bei der Umverteilung da diese Crux gibt und die Unternehmenssteuern seit Schröder historisch niedrig sind, damit die Traditionsunternehmen bei der Vermögensbildung helfen können, „die finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand zusammenschnurren, wenn die Schwimmbäder und Theater geschlossen werden und das Geld nicht mal mehr für eine Kulturfabrik reicht, dann sind das Engagement und die Spenden der größeren und großen Privatvermögen sehr willkommen.“
Wie Charity ja immer so funktioniert, daß der Marxsche Mehrwert, der sich einzig der Aneignung fremder Arbeit verdankt, zu kleineren Teilen und unterm Beifall der Öffentlichkeit und nach Möglichkeit steuerwirksam zurückgegeben wird, daß also das Traditionsunternehmen mit dem Milliardenvermögen im Rücken dasselbe Schwimmbad beheizen läßt, dessen Heizung einer Politik, die die Bedingungen für das Entstehen von Milliardenvermögen gewährleistet, zum Opfer gefallen ist.
„Dem schlechtsten Ding an Art und an Gehalt / Leiht Liebe dennoch Ansehn und Gestalt.“ Shakespeare/Schlegel, 1605/1797
„Manchmal sind diese Vermögen von schwerem Makel behaftet“, denn das Morgenblatt ist nicht nur liberal, sondern auch kritisch und ja keinesfalls eine Erfüllungsgehilfin von Kapitalinteressen. „Sie sind durch illegales oder fragwürdiges Tun entstanden, durch Steuerhinterziehung, kriminelle Geschäfte und das Gemeinwesen schädigendes Verhalten“, womit jetzt nicht das kalte Schwimmbad gemeint ist, da kann das Traditionsunternehmen ja nichts dafür, daß es so wenig Steuern zahlen muß. „Häufig genug“, also praktisch immer, „aber sind sie Folge von Leistung und Eigeninitiative in einer offenen Gesellschaft“, deren Loblied auch Degenhardts alter Senator schon gesungen hat, „der, dem das ganze Wackelsteiner Ländchen gehört / und alles, was darauf steht“: „Schon mit fünf Jahren ist der Senator jeden Tag / von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen, / zwölf Kilometer hin / und zwölf Kilometer zurück. / Und warum? / Weil in Wackelrode ein Liter Milch zweieinhalb Pfennig gekostet hat, / in Hohentalholzheim aber nur zwei Pfennig, / und diesen halben Pfennig, den durfte der Bub behalten. / Und das hat er auch getan, zehn Jahre lang – von Wackelrode nach Hohentalholzheim, / von Hohentalholzheim nach Wackelrode. / und nach zehn Jahren, da hat sich der Senator gesagt: ,So’, / hat das ganz Geld genommen, / ist hergegangen / und hat das erste Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.“
Und den ideellen Gesamt-Marc Beise als PR-Chef verpflichtet; daß der die Schrammen an der Wand (z.B. „Armutsbericht der Bundesregierung“) übermale. – Meine Farbe war übrigens nicht ganz die richtige. Man sieht, wo der Pinsel war.
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