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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Unerträglich

Diese Kolumne versteht sich ja nicht zuletzt als kritisches Propädeutikum, und also nehmen wir heute, liebe Leserin, lieber Leser, das Wort „pervers“ in den Blick.
Aus verlässlicher Quelle erfahre ich, dass an einer lokalen (städtischen) Schule Drittklässler Referate halten müssen, die benotet werden. Aus anderen Quellen weiß man, dass Lehramts- und andere Studenten (m/w) mitunter in Rechtschreibung unterrichtet werden (müssen). „Pervers“ heißt „verdreht“: Die Achtjährige wird mit aller Strenge in Präsentations- und Selbstvermarktungstechnik unterwiesen, der Zwanzigjährige in Orthographie.

An einer Berliner „Eliteschule“ (meint: für Kinder mit reichen, wichtigen oder wenigstens ehrgeizigen Eltern), „bürgerlich und weltoffen“ (Tagesschau), wird ein Fall von Mobbing mit antisemitischem Antrieb gemeldet, das Opfer ist ein Fünfzehnjähriger, der monatelang unter Hakenkreuz- und Gaskammersprüchen leidet, ehe er sich seinen Eltern anvertraut. Das Lehrpersonal hat wohl zugesehen und -gehört, sich dann entschuldigt, jetzt gibt es die üblichen Aktionstage und Aufklärungsunternehmungen, denn das alles ist „unerträglich“ (Internationales Auschwitz-Komitee). In der Tagesschau ist von einem „besorgniserregenden Trend“ die Rede, allein in Berlin habe sich die Zahl der antisemitischen „Vorfälle“ im vergangenen Jahr verdoppelt, überdies sei die Dunkelziffer wohl sehr hoch. Ein regierungsamtlich Zuständiger erklärt: „Das hat damit zu tun, dass es insgesamt zu einer Verrohung unserer Gesellschaft gekommen ist, die auch leider auf die Schulhöfe sich bezieht. Das Wort ,Jude’ als Schimpfwort hat es früher nicht gegeben“, oder sagen wir, bloß viel früher.

„He shrugged, a gesture that conveyed what they both knew; it was all going to hell. And the closer to the end they moved, the faster it went.“ Stephen King, 2004

Faschismus, sagt Gremliza, ist die Fortsetzung des Kapitalismus mit terroristischen Mitteln. Erziehung nach Auschwitz, sagte Adorno im bekannten gleichnamigen Funkvortrag, bedeute „allgemeine Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zulässt“. Umgekehrt, sage ich, muss das gesellschaftliche Klima allgemeiner Aufklärung allerdings günstig sein, und dass der Druck im Kessel, noch im bürgerlichen und weltoffenen, schon wieder so hoch ist, dass er sich das bekannte Ventil sucht, ist leider nicht pervers, sondern bloß Mechanik. Vom „Grauen der Sache, die das Grauen unserer Welt ist“, spricht Adorno weiter, und nicht die Araberjungs sind es, die den Judenhass ins weltoffen-friedliche Vaterland tragen; er nährt sich von der Verrohung, vom stillen täglichen Terror aus Druck und Angst und Infamie, und das verantworten nicht Ahmed und Mustafa, das verantworten die, die alles verantworten.

Die Quelle, die das mit den Referaten wusste, wusste auch, dass im Klassenzimmer der frühstmöglich Zu- und Abgerichteten auch Collagen hingen, von Achtjährigen hingebungsvoll angefertigt, von Erwachsenen genauso hingebungsvoll benotet, und zwar, die Noten standen hinten drauf, mit Dreien und Vieren. Der gestalterischen Bemühung eines Grundschulkindes erstens eine Note und zweitens ein „Ausreichend“ zu verpassen und der Gaskammerwitz an der Eliteschule sind wesentlich eins, denn pervers ist das Grauen einer Welt, die sich für das Grauen entscheidet. Erziehung nach Auschwitz? Erziehung nach Bertelsmann; und „nach“ ist hier leider nicht temporal.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick