Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Vor Mißbrauch wird gewarnt
Auch für den altgedienten Meinungsbeobachter gibt es noch Schätze zu entdecken; oder sagen wir Schätzchen: „Die Skandalskala der deutschen Autoindustrie scheint nach oben offen“, klagt der Frankfurter Allgemeine Mitherausgeber Holger Steltzner. „Wer glaubt dieser Branche noch ein Wort?“ Folgt eine lange Schimpfe: „Branche demontiert sich … Kartellbrüder von VW, Audi, Porsche, Mercedes und BMW … Kunden übers Ohr gehauen … Marktwirtschaft mißbraucht“, dann noch eine, in die andere Richtung: „Dabei ist der moderne Dieselmotor besser als sein Ruf, er verbrennt effizienter und verbraucht ein Fünftel weniger Sprit als ein Benziner, weshalb er viel weniger von dem vermeintlichen Treibhausgas Kohlendioxid ausstößt. (…) Weil die modernen, großen Möchtegerngeländewagen spezielle Katalysatoren haben, in denen durch Harnstoffeinspritzung das gefährliche Stickoxid unschädlich gemacht wird, sind sie sauberer als die meisten Kleinwagen. Aber das will in der Hatz auf den Diesel und die verhaßten SUV niemand mehr hören. Die Diskrepanz zwischen moralisierenden Eiferern, die von Verboten träumen und denen die ,Umerziehung’ der Verkehrsteilnehmer nicht schnell genug geht, und den bislang gelassenen Autokäufern könnte größer kaum sein. Denn die Masse fährt am liebsten SUV.“
Und die Masse hat halt immer recht, denn der Holger Steltzner ist ein Demokrat und kein Eiferer wie der Tagesthemen-Kollege vom Wochenbeginn, der, ungewöhnlich genug für einen (gemeinhin restlos stumpfsinnigen) Tagesthemen-Kommentar, sich den Vorwurf erlaubte, die Kundschaft sei es, welcher Stickoxide und das vermeintliche Treibhausgas Kohlendioxid, die in Mengen aus ihren Panzerfahrzeugen strömen, im Zweifel am Podex vorbeirauschten.
„Sie wollen nicht den Fortschritt / Sie wollen den Vorsprung.“ Brecht, ca. 1942
Die Marktwirtschaft, die der Steltzner hier mißbraucht sieht, funktioniert aber so, daß Kunde und Kundin König sind, und zumal in der Postdemokratie sind die Leut’ Kundschaft und sonst wenig. Und diese Kundschaft will immer dickere, immer schwerere, immer idiotischere Autos, und damit diese dicken, schweren, idiotischen Autos als umweltfreundlich gelten können, haben sie Dieselmotoren, die zwar ein Fünftel weniger verbrauchen als dicke, schwere, idiotische Benziner, aber doppelt soviel wie die meisten Kleinwagen. Dieselfahrzeuge emittieren Stickoxide, und es ist technisch längst möglich, diese Stickoxide zu neutralisieren, aber dazu müßte eins regelmäßig Harnstoff nachtanken, „und nachfüllen will man den bequemen US-Kunden (…) nicht zumuten“, so die SZ in einem Feature über den Grund für Audis Griff in die Trickkiste: Kundenfreundlichkeit, oder was man dafür hält, eine Erzählung nicht von Kapitalismus, Markt und Konkurrenz, sondern „von Gier, Gehorsam und Realitätsverweigerung“ und darüber, „daß bei Audi vieles wichtig war, nicht aber die Gesundheit von abgasgeplagten Stadtmenschen“. Ein echter Sonderfall mithin, an dem jedenfalls nicht deutsche Ingenieurskunst schuld ist, sondern die Verkaufsabteilung, die, übersetzen wir uns das, die Marktwirtschaft dahingehend mißbraucht hat, der Kundschaft bei durchaus besserem Wissen schädlichen, allgemeingefährlichen Blödsinn unterzujubeln, damit der Laden laufe und die „Deutschland AG“ (SZ) gleich mit.
Ein moralischer Eiferer mit Neigung zur Ironie könnte finden: Die Mutter aller Mißbräuche.
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