Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Klartext
Der Verdacht, das deutsche Moralweltmeistergebaren sei nur ein Vorwand, sich zwischen den Gedenkfeiern wieder so aufzuführen wie zu den schönen Zeiten, die den Grund für die Gedenkfeiern lieferten, stammt zwar nicht von mir, kann aber trotzdem stimmen, und kaum nehme ich mal wieder die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Hand, bin ich ernstlich froh, wie aufschlußreich hier Klartext geredet wird: „Jeder Bau eines Strommastes wird in Deutschland mittlerweile von einem basisdemokratischen Brimborium begleitet: Kein Bürger soll das Gefühl haben, er sei nicht beachtet worden. Wenn aber ein Flüchtlingsheim eingerichtet wird, heißt es: Maul halten – wer Einwände hat, ist ein Ausländerfeind!“ und nicht etwa der joviale, international aufgestellte Sommermärchenerzähler, als den unser Jasper von Altenbockum den Volksgenossen vermutlich imaginiert. „Die Not ist groß, deshalb ist es richtig, daß die Verwaltung schnell handelt und Unterkünfte für Flüchtlinge schafft. Aber Landesregierungen, Landkreisen, Gemeinden und vor allem den Verfechtern einer Villa-Kunterbunt-Gesellschaft stünde es gut an, auch hier die ,Zivilgesellschaft’ einzubeziehen. Das gilt erst recht, wenn es um eine Bevölkerung geht, die mit Einwanderung bislang wenig bis keine Erfahrung gesammelt hat. Das wiederum gilt besonders in Ostdeutschland und auch für den Ort Tröglitz in Sachsen-Anhalt, wo jetzt ein Bürgermeister zurückgetreten ist, weil er allein gelassen und seine Familie von Neonazis bedroht wurde.“
„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ Matthäus 5,37
Da stimmt einfach wiederum alles: Erst das selbstverständliche contra malum, dann das geflissentliche Abnicken des Ressentiments („Villa-Kunterbunt-Gesellschaft“), das In-Schutz-Nehmen von Ausländerfeindlichkeit als „Überforderung“ wie das Übergehen der Frage, was ein Neonazi ohne Basis wäre. Eine Basis, die ja auch keine Leserbriefe schreibt (jedenfalls keine mißbilligenden), wenn Altenbockums Kollege, der FAZ-Auslandschef Frankenberger, der griechischen Regierung „Ganoventum“ attestiert: „Aber die Regierung Tsipras ist von einem anderen Geist beseelt, dem des politischen Ganoventums“, was – nicht polemisch-metaphorisch, sondern plan gesprochen – NSDAP-Deutsch ist. Und jedenfalls das klare Wort von rechts, das auch in weniger verfänglichen Zusammenhängen gepflegt wird:
„Ein Menschenrecht auf billige Mieten gibt es nicht“, hatte zwei Tage zuvor Wirtschaftsredakteur Rainer Hank in Sachen Mietpreisbremse zu bedenken gegeben. „Wohnungen sind Eigentum, (fast) genauso wie jedes andere private Eigentum auch – Autos, iPhones, Musikstücke. Der Eigentümer hat das Recht, mit seinem Eigentum zu machen, was er will. Überläßt er es anderen zur Nutzung, darf er dafür einen Zins (den ,Mietzins’) verlangen. Niemand ist gezwungen, diesen Preis zu akzeptieren. Niemand ist genötigt, in München-Bogenhausen oder in Frankfurt–Sachsenhausen zu wohnen. Es gibt kein Menschenrecht auf billige Mieten in den begehrtesten deutschen Städten. Erst recht nicht in einem Land mit einer hervorragend ausgebauten Infrastruktur, wo man in Windeseile von Frankfurt nach Montabaur oder von Prenzlauer Berg nach Bernau in Brandenburg kommen kann.“
Es ist, noch einmal, schön, wenn die Bourgeoisie Klartext schreibt, und wer dem Hank im Sachsenhäuser Stilaltbau das Scheißhaus putzt, kann ja morgens mit dem Zug von Montabaur kommen. Sagten sie nicht, was sie denken, ich hätte gar keine Gelegenheit, sie für die Armleuchter zu halten, die sie sind.
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