Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: In Serie
Und das ist dann auch keine Lösung, statt des einen Morgenblatts einfach ein anderes Morgenblatt zu lesen: „Streit mit Rußland über Nervengiftattacke eskaliert“, schreibt die FAZ und meint aber nicht einen anhängigen Atomkrieg, sondern lediglich, daß der Streit „heftiger“ wird. Es ist dieselbe FAZ, die hinten im Blatt wieder mal über den Verlust der (Hand-)Schriftkultur jammern läßt; vermutlich geht die Befürchtung dahin, daß niemand mehr mit dem Füller „eskalieren“ schreiben kann, wenn es garantiert nicht paßt.
Im Magazin der Konkurrenz dann Grisham, der, sagt er, gar nicht sehr prominent sei: „Ich bin höchstens ein bekannterer Schriftsteller in einem Land, in dem niemand mehr liest. Bei jedem neuen Roman von mir sind die Verkaufszahlen rückläufig. Kein Jugendlicher liest mehr. Sogar ich komme immer seltener zum Lesen. Die Verleger verkaufen immer weniger in immer weniger Buchläden. Die Entwicklung ist nicht dramatisch, aber besorgniserregend.“ Daß das mit den Jugendlichen eine polemische Übertreibung ist, weiß er selbst, denn das hat das Milieu ja gemerkt, daß sich Lesen aus dem bürgerlichen Disktinktionskanon dann doch noch nicht entfernen läßt. (In Hamburg, wußte die Taz über einen „Bring your own device“-Versuch zum digitalen Unterricht, waren „die Geräte der Schüler an den Stadtteilschulen … im Schnitt neuer als die der Gymnasiasten“.) Dasselbe Milieu, das freilich selbst nicht mehr liest, weil Serien ja die neue Literatur sind, wie Leute ins Feuilleton schreiben, deren Erleichterung grenzenlos ist, daß Geist endlich bedeutet, die Fernbedienung zu finden.
„Immer weiter, immer weiter!“ Oliver Kahn, 2001
Man muß ja gar nichts gegen die Visualkultur haben, wie schließlich das lokale Bildungsbürgerressentiment dafür gesorgt hat, daß die Angelsachsen in Pop und (komischer) Unterhaltung soviel besser sind. Aber seit Anbruch des „goldenen Fernsehzeitalters“, der ja nun auch schon etwas her ist, habe ich nur ein einziges Mal etwas Skeptisches gelesen, als eine erschöpfte SZ-Kollegin die Mechanik des Seriellen nicht mehr übersehen wollte (oder konnte), und selbst bei so etwas Klassischem wie „Breaking Bad“ sprang ja ins Auge, wie und wann gestreckt worden war; und dann ähnelt noch die beste Serie Facebook in dem Ziel, so viele wie möglich so lange wie möglich am Schirm zu halten. („House of Cards“ hat im britischen Original von 1990 vier Folgen, die alles erzählen, in der US-amerikanischen, zur Massenwirkung gelangten Version sind es bislang 65.) Adornos pauschalen Einwand gegen das Kino „als bloße Verdopplung und Verstärkung dessen, was ohnehin ist“ wird man nicht unterschreiben wollen; fürs Fernsehen gilt er spätestens dann, wenn im (Dauer-)Seriellen das schlechte Unendliche als „sich wiederholende Einerleiheit“ (Hegel) aufscheint. (Und auch darum war „True Detective“ prima: Weil nach einer Staffel die Geschichte zu Ende war; jedenfalls die erste Geschichte.)
Fernsehen, hieß es mal, mache die Dummen dümmer und die Klugen klüger. Fernsehen wäre also das Instrument der Klassenherrschaft, die sich, weiß man seit Schröder, mit „Bild“ und Glotze exekutieren läßt und die gerade in rauher werdenen Zeiten nichts dagegen hat, wenn auch die Klügeren verdummen und sich noch weißgott wie klug dabei vorkommen. Wer will, daß die Vernünftigen nicht aussterben, dem schadet die Erkenntnis nicht, daß auch Serienfernsehen Fernsehen ist; und daß unsere urbanen Konsumblödiane samt der Welt, die sie prolongieren, nicht als Opfer von, sagen wir, Gottfried Keller gelten können.
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