Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: G mir weg
Das ist ja auch so was, was den Kolumnisten auf der Stelle langweilt: das ewige Geharke darum, wie viele Jahre eine(r) brauchen soll, um das Abitur zu kriegen, eine Hochschulreife, die, glaubt man denen, die an den den Unis die Einführungsveranstaltungen halten, längst keine mehr ist. Das beginnt bei der Rechtschreibung und hört bei der verwandten Fähigkeit, einen Text so zu verfassen, daß sich sein Sinn nicht erst beim dritten Lesen erschließt, nicht auf. Daß die Abiturnoten immer besser, die Kenntnisse immer geringer würden, ist neulich durch die Presse gegangen und deckt sich mit dem Befund eines Bologna-Kritikers, das Ziel der Reform seien nicht klügere Menschen, sondern mehr Abschlüsse, und statt sich, wie die Welt, in schlechter Verhohlenheit über die Verpöbelung der Gymnasien zu ärgern („Das geschenkte Abi“), soll man das Pferd nicht von der falschen Seite aufzäumen und sich über Schulen beschweren, die nur das tun, was sie sollen, nämlich auf die Universität vorbereiten. Daß die neuerdings eine Bologna-Universität ist, dafür kann die Schule nichts. (Nicht einmal die Grundschule, wo, liest man, immer häufiger keine Schreibschrift mehr unterrichtet wird: kostet nur Zeit, und wer schreibt schon noch von Hand?)
„Das erspart natürlich Diskussionen, die dann trotzdem stattfinden.“ Béla Réthy, 2014
Darum klingen auch die Klagen über die neuen Schnellgymnasien so schief, denn wo, wie partiell in Hessen, komplett in Niedersachsen, eventuell demnächst in Bayern, zum alten neunjährigen Gymnasium zurückgekehrt wird, ist es auffällig, daß in der Berichterstattung grundsätzlich diese properen Bildungsfamilien auftauchen, die zwar den Schulstreß beklagen, aber nur, weil er keine Zeit mehr für Geige, Reitstunden und Auslandsjahr läßt. Das deutsche Bürgertum, verkommen wie es ist, hat seine feine Witterung fürs Distinktive nicht verloren, und wo heutzutage die Türken schon Abitur machen, muß eben außerschulisch gebolzt werden. Aber nicht auf dem Bolzplatz, sondern im Leistungszentrum.
Besser wird dadurch natürlich nichts, und wer sich über den Stand der Merkelschen Bildungsrepublik informieren will, der schaue ein bißchen Fußball-WM und wundere sich, daß der heutige Sportreporter, trotz Abitur und Studium, selbst einfachste relativische Anschlüsse nicht mehr zustande bringt („das Spiel, was die Deutschen hier aufziehen“) und überhaupt seine liebe Not hat, mal einen Satz ohne Grammatikunfall herauszubringen, oder wenigstens ohne „sensationell“, „insofern“ und „insofern, weil“. (Wer glaubt, das sei nichts Neues: ist es aber. Gegen die neuzeitlichen Fernsehtrilobiten war Faßbender ein höheres Vernunftwesen, von gebildeten Herren wie Eberhard Stanjek nicht zu reden.) Auch die Damen und Herren, die für Peugeot die Prospekte texten, haben Abitur, und lägen diese zeitgenössischen Prosawunder nicht bei meinem Schwiegervater auf dem Küchentisch, ich könnte jetzt seitenweise Pidgin zitieren. Da ist mein Französisch noch besser, und das ist wirklich schlecht.
Das macht aber nichts, die Autos werden ja trotzdem gekauft, und wann immer wer nun Abitur macht, das Niveau ist unverrückbar das der Katrin Göring-Eckardt: „Ich wäre gern Lehrerin geworden … Ich finde es spannend mitzuerleben, wie [Kinder] eigene Werte entwickeln'“ (Zeit). Im Zweifel nämlich, w.z.b.w., sensationell spannende.
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