Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Friedrichs Solidarsprengsatz
Es gibt nicht nur Rechte, heißt es, es gibt auch Pflichten, und wer immer nimmt und niemals gibt, gilt nicht als Mensch, mit dem man Umgang haben will.
Böse Menschen sagen, das Europa der Europäischen Union sei ein ein deutsch beherrschtes, wozu es bekanntlich keine Panzer mehr braucht, sondern nur die ökonomische Macht des Stärkeren. Deutschland hat dem bankrotten Griechenland noch kurz vor Schluß deutsche Panzer angedient, und als Griechenland dann am Ende war, hat Deutschland sich hingestellt und gesagt: Wir können es vor unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht verantworten, europäische Hungerleider ohne Steuer-, Arbeits- oder sonst eine Disziplin durchzufüttern. Die deutsche Presse half (und hilft) bereitwillig: „Waffenwahn trotz Fast-Pleite: Griechenland rüstet und rüstet und rüstet. Das Land stand kurz vor dem Staatsbankrott, doch auf Waffen wollte die griechische Regierung nicht verzichten. Jahrelang hat sie Leopard-Panzer und U-Boote geordert – vor allem made in Germany. Und die Shoppingtour geht weiter“ („Spiegel online“). Das Geld für deutsche Panzer, die in Griechenland mangels Bedrohung (und neuerdings Munition) sinnlos herumstehen, kommt aus deutschen und europäischen Staatskassen, und die deutschen und europäischen Finanzhilfen helfen nicht irgendwelchen griechischen Krankenhäusern, sondern bedienen die Kredite, mit denen die Griechen deutsche Panzer gekauft haben, als es schon längst nicht mehr ging. Daß es deutsche Kredite sind, die mit europäischem Steuergeld bedient werden, ist einer der Gründe für die hohe Sympathie, die Deutschland zur Zeit in Europa genießt.
„Vorwärts und nicht vergessen / Worin unsre Stärke besteht! / Beim Hungern und beim Essen/ Vorwärts, nie vergessen / Die Solidarität!“ Brecht, 1931
Daß Rumänien und Bulgarien in der EU sind, haben sie Deutschland zu verdanken, denn niemand kommt in die EU, wenn Deutschland es nicht will; die Türkei, ökonomisch (evtl. sogar zivilisatorisch) den Südosteuropäern voraus, schon einmal gar nicht. Rumänen und Bulgaren sind deshalb in der EU, weil sie geschätzte Importeure sind, aber nicht viel produzieren, was deutschen Produzenten eine Konkurrenz wäre. Rumänien und Bulgarien sind auf europäischer Ebene so etwas wie die späteste DDR auf der deutschen: ideal als Markt, dann hören die Gemeinsamkeiten auf.
Wenn man den deutschen Medien glauben soll, haben arme deutsche Kommunen neuerdings mit „Armutseinwanderung“ zu tun. Rumänen (insonderheit diskriminierte Roma) kommen angeblich scharenweise, um sich in der deutschen Sozialhängematte auszuruhen. Nicht nur die EU-Kommission glaubt das nicht: „Die Mär von der Armutseinwanderung. Unions-Politiker, allen voran CSU-Innenminister Friedrich, warnen gerne vor Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Zu Unrecht, sagen Ökonomen. Tatsächlich kommen Leute, die Deutschland sogar dringend braucht“ (Handelsblatt), aber jedenfalls könnte man ja sagen, gut, was man auf der einen Seite verdient, kann man anderswo wieder gutmachen. So ist Europa aber nicht gedacht, und die grotesk niedrigen deutschen Unternehmenssteuern sorgen dafür, daß nur wenig von dem Geld, das in (Ost-)Europa verdient wird, bei deutschen Kämmerern landet. Weswegen Wahlkämpfer Friedrich einen „Sprengsatz für die europäische Solidarität“ erkennen kann, wenn verfolgte Roma in die verarmten Städte eines schwerreichen Landes kommen.
Es wäre mal ein Seminar wert herauszufinden, was genau Hans-Peter Friedrich unter „Solidarität“ versteht. Wahrscheinlich ca. das, was Orwells Ozeanien unter dem „Ministerium für Liebe“ verstand.
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