Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ficker
Es begegnen einem im Leben ja viele gute Sätze, die (und sei’s bloß sinngemäß) in Erinnerung bleiben; jedenfalls mir unvergeßlich der arglose Fernsehsatz des kanadischen Sprinters und hernach überführten Superdopers Ben Johnson vor Olympia 1988, er nehme halt immer „diese Pillen“; unvergeßlich auch der jüngere Satz Heiner Geißlers, es sei „inzwischen wieder klar, daß der Kapitalismus nicht die Wirtschaftsphilosophie der CDU ist“. Ein dritter denkwürdiger Satz, aus der Gegenwart, zitiert von einer Schauspielerin, die auf „Spiegel online“ vom habituellen Sexismus auch hinter deutschen Bühnen und Kameras berichtet, geäußert von einem TV-Regisseur: „Ich würde jetzt gern deine Brüste aus deinem Ausschnitt holen und daran herumspielen.“
Das gibt’s doch nicht; das gibt es eben doch bzw. ist „so plump, so sexistisch und dumpf, daß man es kaum glauben will“, wie die „Süddeutsche“ schreibt, die wie zuvor die „Spon“-Kollegin deutsche Schauspielerinnen nach ihren Erfahrungen im „festbetonierten System aus Männerallmacht und dem Ausgeliefertsein der Frauen“ gefragt hat, um mehr zu erfahren über „die Besetzungscouch, das Möbelstück der Männermacht“ und „Frauen als Freiwild“. Fassen wir’s zusammen: „Nicht aus dem Kopf gegangen ist ihr die Frage eines leitenden Fernsehmannes, der auf einer Premierenparty wissen wollte, ob sie mit ihm ,ficken’ würde … ,Das Schlimme ist, daß die Verzweiflung auf dem Markt so groß ist, daß es [das System Besetzungscouch] auch noch klappt.’ … Die Frauen, die gelernt haben, lieber zu gefallen als nein zu sagen, liefere es den Männern aus. … ,Der Intendant weiß um seine Macht, die Schauspielerin um ihre Ohnmacht’ … Frauen haben nicht nur keine Macht, sie verdienen auch weniger … 34 Prozent verdienen die Frauen im Theater weniger als ihre männlichen Kollegen, das sind 1000 Euro im Monat … ,Solange die Hierarchien im Theater in dieser Form bestehen und es noch den Unterschied zwischen Männerhöchstgage und Frauenhöchstgage gibt, ist der Respekt nicht da’“.
„Der Gedanke an Glück ohne Macht ist unerträglich, weil es überhaupt erst Glück wäre.“ Adorno/Horkheimer, 1947
Geht es um Mann und Frau, dann geht es in der falschen Gesellschaft um Macht und Hierarchie und Männer, die gelernt haben zu dominieren, und Frauen, die gelernt haben zu gefallen. Nach wie vor, war neulich wieder mal zu lesen, werden Mädchen anders erzogen als Jungen, wird hie Fügsamkeit belohnt, wo dort Widerstand toleriert wird. Warum das so ist, ist Gegenstand von Genderforschung, aber hört der deutsche Mann, heiße er nun Hacke, Klute oder Martenstein, „Gender“, dann geht er durch die Decke und fühlt sich von politischer Korrektheit erstickt, ohne etwas von Macht, Verzweiflung, Markt wissen zu wollen. Er will es nicht wissen, weil und solange er profitiert, und sind die Söhne plötzlich schlechter in der Schule als die Töchter, weil Schule Fügsamkeit belohnt, geht das Geplärre los, die Jungen würden von den überwiegend weiblichen Grundschullehrkräften benachteiligt.
In der Konkurrenzgesellschaft des „freien“ Marktes gibt es nur Macht und Ohnmacht, Ficken und Geficktwerden, und das Machtgefälle bezeichnen eben jene Vokabeln, über die in den herrschaftsnahen Anti-Gender-Kolumnen so gern gelächelt wird: Sexismus, Rassismus, Chauvinismus. Die Geschlechterfrage (im weitesten Sinne) ist eine Machtfrage, und Sexismus, ob am Theater, im Büro oder in der Werbung, ist Ausdruck des Umstands, daß sie sich stellt, indem sie nicht gestellt wird. „Wird das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern kleiner, werden die Abhängigkeiten kleiner und der Sexismus weniger“, sagt in der SZ eine Schauspielerin. Daß der Satz sich leicht verallgemeinern lasse, ist eine Wahrheit, die nicht sehen darf, wer von der Lüge profitiert.
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